Symbolismus für das Gaswerk

Industrialisierung, Wohlstand und Technik. Darauf war man vor Zeiten noch stolz. Jedenfalls kann man sich in unseren heutigen, von Fortschrittspessimismus geprägten Zeiten kaum mehr vorstellen, dass man eine profane Industrieanlage so voller Pathos künstlerisch zelebriert wie damals das neue Gaswerk von Michle (Michelska plynarna).

Die Skulptur, die eine modern-funktionalistische Ummauerung abschließt, stammt von keinem Geringeren als dem Bildhauer Ladislav Šaloun. Der gehörte zu den Großen seines Fachs im Lande und hatte 1915 sein gigantisches Denkmal für Jan Hus auf dem Altstädter Ring aufgestellt, das so etwas wie einen Status als Nationalmonument in Tschechien innehat. Nur dieses Mal ehrte der Künstler keinen Religionsreformator und Nationalhelden, sondern eben ein Gaswerk. aber auf das war man eben damals auch stolz!

In Teilen von Prag wurde bereits in den 1840er Jahren Straßenbeleuchtung mit Gaslicht eingeführt (wir berichteten hier). Ab den 1860er Jahren begann man in Städten Žižkov, Holešovice und Smíchov, die damals noch nicht zu Prag gehörten, mit dem Bau von eigenen Gaswerken. In den 1920er Jahren waren diese – und andere! – Städte in die sich rapide vergrößernde Stadt Prag integriert, die ein enormes Bevölkerungswachstum erfuhr. Die bestehenden drei kleinen „Stadtteil-Gaswerke“ reichten nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken, zumal die Ansprüche an den Gaskonsum gewachsen waren. Es ging nicht mehr nur um Straßenbeleuchtung. Heizungen und Herde in den Wohnungen wurde zunehmend mit Gas betrieben und nicht mehr mit der luftverschmutzenden Kohle, die zu einem veritablem Problem für die Lebensqualität geworden war. Schon 1911 kaufte die Stadt Prag in Michle ein rund 190.000 m2 großes Areal zum Bau eines zentralen Gaswerks.

Der Erste Weltkrieg verhinderte erst einmal die Realisierung aller Pläne. Das alte Habsburgerreich ging, die Erste Republik kam. 1921 bis 1923 lief unter neuen Bedingen eine Ausschreibung, wer denn die Anlage auf dem Grundstück aufbauen und betreiben dürfe. Den Zuschlag bekamen am Ende das französische Unternehmen Compagnie des Compteurs und das englische Unternehmen West’s Gas Improvement Ltd, die beide für das recht aufwendige Projekt fusionierten. Die moderne Anlage wurde von dem Architekten Josef Kalous, der in den 1920er Jahren u.a. durch die hoch-avantgardistische Messehalle in Brno (Brünn) berühnt wurde – einem Meisterwerk des Funktionalismus. Die feierliche Eröffnung (zugegebenermaßen nur eines Teilstücks) erfolgte im März 1925. Die weiteren Bauabschnitte wurden 1927 bis1930 (was die Produktion auf 40 Millionen Kubikmeter pro Jahr steigerte) und 1941 bis 1944 eröffnet.

Die Eigentümer wechselten fortan öfters. Die französischen und britischen Investoren waren unter den Nazis nicht geduldet. Und unter den Kommunisten war alles Staatseigentum. Große kommunale Gaswerke wurden ab den 1960er Jahren überall – in Ost und West – immer mehr durch Verbundsysteme ersetzt. Diese Entwicklung ging auch an der Anlage in Prag nicht vorbei. Das Bewusstsein für die Problematik wurde unfreiwillig im Januar 1961 verstärkt, als ein 84 Meter hoher Gastank mit 147.000 Kubikmetern Gas Feuer fing und explodierte. Der Stadtteil musste wegen des ausbrechenden Feuers evakuiert werden. Nur dem Glück verdankte man, dass niemand ums Leben kam. Große Gastanks inmitten einer Stadt – nun ja… Auf jeden Fall: 1975 wurde hier in Michle die Gasproduktion hier eingestellt.

Die Tanks und Teile des Werks wurden nach und nach abgerissen. Verwaltungsgebäude blieben. Ein Teil des Gases für Prag kam nun aus einem Verbund. Ein kleineres Gaswerk wurde im etwas außerhalb gelegenen Horní Měcholupy erbaut. Das Areal gehört den seit Ende des Kommunismus wieder einem privaten Gasversorger, der Pražská plynárenská, die hier ihre Verwaltung für das Verbundnetz eingerichtet hat. Einige Bürogebäude sind auch an andere Firmen vermietet. Pražská plynárenská hat große Teile der Gebäude renoviert oder grundlegend umgebaut sowie neue Gebäude hinzugefügt. Behutsam hat man die neue Architektur an die funktionalistische Architektur der Ursprungszeit angepasst.

Und die wird immer noch durch die bronzene Skulptur am Eingang repräsentiert, die den sich über die Hauptstraße nähernden Besucher schon von weitem begrüßt. Das sehr pompös und ein wenig traditionalistisch daherkommende Kunstwerk wurde 1937 aufgestellt. Ladislav Šaloun war der wohl wichtigste Vertreter des Symbolismus und in der Tat handelt es sich hier um eines der Spätwerke dieses Kunststils. Wissenschaft und Arbeit (Věda a Práce), wie der Künstler das Werk betitelte, ist eine Allegorie, die eine Männergestalt mit nacktem Oberkörper (Arbeit) und eine Frauengestalt im Gewand (Wissenschaft) zeigt, die eine Fackel in der Hand hält. Letztere hielt nachts, wenn es dunkel war, einen besonderen optischen Effekt bereit. Aus der Fackel strömte nämlich eine helle Gasflamme, die die Umgebung erleuchtete. Das wird anscheinend nur noch selten vorgeführt.

Wie dieser Beitrag bereits andeutet, ist das Kapitel Gasversorgung durchaus eines der interessanteren in der Stadtgeschichte Prags. Es gibt seit 1999 ein kleines Museum, das über die Gasproduktion im allgemeinen und die Gasversorgung in Prag im speziellen aufklärt und unter anderem ein Modell der gesamten Anlage bereithält, wie sie im Jahre 1937 aussah, als Šalouns große Skulptur das erste Mal seine Gasflamme erleuchten ließ. Über das Museum werden wir vielleicht später berichten. Aber auch ohne das Museum ist das, was von der Anlage übrig blieb – zuvörderst die Allegorie! – schon eine veritable Erinnerung daran, wie sehr die Geschichte der Gasversorgung auch die Geschichte Prag geprägt hat, und dass die Prager einen gewissen Stolz für dieses Kapitel menschlichen Fortschritts in ihrer Stadt empfinden. Und so hat es sich Ladislav Šaloun auch nicht nehmen lassen, am Fuß der Säule mit der Skulptur das Stadtwappen Prags in Bronze zu verewigen. (DD)

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