Tschechen ringen um VW-Batteriefabrik

Ohne Batteriefertigung könnte der Autobaustandort Tschechische Republik den Anschluss an die Elektromobilität verlieren. Die Regierung in Prag will das verhindern. Doch der Plan gefällt nicht allen.

Alles neu beim tschechischen Autobauer Škoda : Designsprache, Logo, Markenauftritt, selbst Vorstandschef Klaus Zellmer, der sich und alles andere kürzlich ein paar Hundert Gästen in Prag präsentierte. Nicht zuletzt die Konzeptstudie „Vision 7S“ für ein neues, bullig daherkommendes SUV. Natürlich vollelek­trisch. Und alles auf einer Wellenlänge mit dem neuen Volkswagen-Konzernchef Oliver Blume, der das Tempo auf dem Weg zur E-Mobilität erhöhen will. Škoda, seit 31 Jahren Tochtergesellschaft des VW-Konzerns, strebt an, dass bis 2030 sieben von zehn verkauften Autos der Modellreihen vollelektrisch betrieben werden.

Da passt es gut, dass die Regierung in Prag Ende Juli ein Konzept beschlossen hat, wonach künftig auch die Batterien zum Auto in der Tschechischen Republik produziert werden könnten. Industrie- und Handelsminister Jozef Síkela weiß, was auf dem Spiel steht: Der Automobilsektor im Land erwirtschaftet etwa 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und steht für 20 Prozent der Ausfuhr. Kein Unternehmen in der Tschechischen Republik ist größer als der Autobauer aus Jungbunzlau (Mladá Boleslav) nordöstlich von Prag.

Minister Síkela will deshalb den kaum genutzten Militärflugplatz Líně nahe der südwestböhmischen Wirtschaftsmetropole Pilsen (Plzeň) zum Industriepark umrüsten. Auf dem 391 Hektar großen Gelände, wo heute oft Hobbyflieger und nur noch sehr selten NATO-Jets starten oder landen, könnte Volkswagen dann bis 2027 eine Gigafactory bauen – eine jener sechs, die der Konzern bis zum Ende des Jahrzehnts für 20 Milliarden Euro geplant hat.

4500 Menschen könnten Arbeit finden

Von einer ineffizient genutzten Brachfläche mit guter Anbindung an das Schienen- und Autobahnnetz ist laut der tschechischen Nachrichtenagentur ČTK in dem Regierungspapier die Rede. Die Investitionskosten werden auf 5 Milliarden Euro geschätzt, 4500 Menschen könnten dort Arbeit finden. Von einem „idealen“ Standort, der große Chancen habe, in die endgültige Auswahl aufgenommen zu werden, schwärmte Škoda-Vorstand Martin Jahn. Doch da war noch nicht bekannt, dass viele vor Ort eher wenig von dem Projekt halten. Da ist die Stimmung derzeit ziemlich angespannt.

8200 Unterschriften hatten Aktivisten binnen drei Wochen gegen den Bau der Gigafactory zehn Kilometer westlich von Pilsen gesammelt. Die Zusicherung, dass die Luftrettung am Standort erhalten bleiben werde, besänftigt sie nicht. Hobbyflieger stellten zum Protest Dutzende Flugzeuge auf die Landebahn. Der Bürgermeister von Dobřany, einer Gemeinde mit ein paar Tausend Einwohnern, die an das Areal angrenzt, fragt, wo die Arbeiter wohnen sollen, wo ihre Kinder zur Schule gehen sollen. Er sagt: „Das ist kein Projekt, das wir uns wünschen.“

In Líně spielt das Thema gar bei der Eröffnung des neuen Kindergartens eine Rolle. Bürgermeister Michal Gotthart gefällt vieles nicht von dem, was er bisher gehört und gelesen hat. Am wenigsten aber, dass angeblich 30 Hektar Wald abgeholzt werden sollten. Das Dorf wachse, seine Bürger legten Hand an und machten es sich schön. „Warum soll dann hier ein Gewerbegebiet entstehen?“, zitiert ihn ČTK. Michal Chalupný, der Bezirksvorsitzende der Sozialdemokraten in Pilsen, droht damit, Unterschriften für ein Referendum zu sammeln, um das Projekt zu stoppen.

Emotionen kochen hoch

Mit Auskünften ist man von offizieller Seite zurückhaltend. Das Handelsministerium bleibt stumm, die Investitionswerber von Czech Invest, die mit Volkswagen verhandeln, haben Redeverbot. Die Stadt Pilsen verweist auf den Bezirk, der erklärt auf Anfrage, das Projekt sei noch im Anfangsstadium „und weder das Unternehmen noch die Regierung der Tschechischen Republik oder die Region Pilsen haben entsprechende Entscheidungen getroffen, die bedeuten würden, dass die Gigafactories tatsächlich in der Region Pilsen gebaut werden“.

Die Bezirksverwaltung ist in der Angelegenheit wichtig, denn die tschechische Regierung will ihr das mit hohen Subventionszusagen aus Prag und Brüssel zu entwickelnde Gelände und zudem die Rolle des Projektkoordinators übertragen. „Tatsache ist, dass die Eigentümer der Grundstücke in dem betreffenden Gebiet die Städte und Gemeinden der Region Pilsen sind, die an den weiteren Verfahren zur Umsetzung des Projekts zum Bau der strategischen Industriezone direkt beteiligt sein müssen“, heißt es auf F.A.Z.-Anfrage. Noch aber habe das Verteidigungsministerium formell nicht auf die Nutzung des Flughafens verzichtet.

Dennoch kochen die Emotionen hoch. Ende August verwahrte sich Bezirksgouverneur Rudolf Špoták gegen „eine ganze Reihe falscher Informationen und wiederholter Angriffe auf die Führung der Region Pilsen“. Beklagt werden fehlende Information, Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Die Rede ist von Sorge um das Grundwasser – das klingt alles nach dem Gerangel um den Bau der Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin.

Sorgen über Überfremdung

Angst vor Überfremdung liegt in der Luft, wenn vor dem Zuzug Tausender ausländischer Arbeitskräfte gewarnt wird. Tatsächlich ist der tschechische Arbeitsmarkt leer gefegt wie kaum einer in der EU, andererseits dürften in der Zulieferindustrie mit dem Umstieg vom Verbrenner auf den E-Antrieb Arbeitsplätze wegfallen. Er sei „definitiv“ gegen den Bau von Wohnunterkünften für ausländische Arbeiter, vor denen die Öffentlichkeit Angst habe, wird Pilsens stellvertretender Bezirkschef Josef Bernard zitiert.

Womöglich hat sich herumgesprochen, was aus Ungarn berichtet wird. Dort sollen Arbeiter aus Asien eingeflogen worden sein, um in den Batteriefabriken zu arbeiten. Ungarn ist in Zentraleuropa das Land mit den größten Kapazitäten auf diesem Gebiet. Die koreanischen Konzerne Samsung und SK Innovation wollen dort nach einer Übersicht von Battery.News ihre Anlagen auf die Produktion von fast 90 Gigawattstunden erweitern. Vor drei Wochen kündigte der chinesische Konzern CATL an, der auch Mercedes-Benz und BMW beliefert, in Ungarn die größte Batteriefabrik des Landes für 7,3 Milliarden Euro zu bauen. Das Investment wäre fünfmal größer als das von CATL in Erfurt.

Im polnischen Breslau (Wroclaw) betreibt Südkoreas LG Energy Solution eine Anlage, die auf bis zu 65 Gigawattstunden ausgelegt sein soll. In der Slowakei ist der Newcomer InoBat dabei, eine Produktion von 10 Gigawattstunden hochzufahren. Ende 2021 waren laut dem Europäischen Automobilherstellerverband europaweit 18 Fabriken in Betrieb und deutlich mehr in Planung.

Qualifizierte und günstige Arbeitskräfte

Antonello Locci befasst sich als Analyst bei der Europäischen Investitionsbank mit dem Thema. Er sagt, den mittel- und osteuropäischen Ländern komme wegen ihrer Nähe zu den großen Herstellern von Elektrofahrzeugen einschließlich derer in Deutschland eine „Schlüsselrolle in der Entwicklung der Batteriezellfertigung“ zu. Nicht zuletzt auch „dank großzügiger Zuschüsse und Anreize seitens der Regierungen der mittel- und osteuropäischen Länder“.

Hersteller in Polen und Ungarn profitierten von qualifizierten und günstigen Arbeitskräften, sagt Georges Dieng, Direktor bei der Ratingagentur Scope. „Insbesondere Ungarn hat dank einer Kombination positiver Faktoren bedeutende Batterieinvestitionen angezogen: Verfügbarkeit, Qualität und Kosten der Arbeitskräfte, niedrige Steuern.“ Budapest verfolge eine nationale Strategie, um ausländische Direktinvestitionen in die Batterie-Wertschöpfungskette anzukurbeln. Wichtig sei zudem der Zugang zu erneuerbaren Energiequellen, da die Batterieproduktion stromintensiv sei. Polen ausgenommen, gibt es sogar überall CO2-freien Strom aus Kernkraftwerken.

Fehlt unter den zentraleuropäischen Staaten mit großer Autoindustrie nur noch die Tschechische Republik als Batteriestandort. Dabei verfügt sie über eigene Lithiumvorkommen im Erzgebirge. Vorbereitungen für den Abbau und die Aufbereitung des Rohstoffs, der für die Batterien unabdingbar ist, laufen.

Deshalb spricht einiges dafür, dass die Tschechische Republik, wo Škoda seit 1895 Autos baut, trotz lokaler Proteste bald mit VW eine Batteriefabrik errichten wird. Der frühere Škoda-Vorstandsvorsitzende und heutige Markenchef von VW, Thomas Schäfer, hatte im März im F.A.Z.-Interview gesagt: „Wir wünschen uns, dass Tschechien gewinnt und Standort der nächsten Batteriefabrik des VW-Konzerns wird.“ Eine Entscheidung soll jetzt bis zum Jahresende fallen.

Da VW an Standorten wie Salzgitter mit dem Bau begonnen hat, drängt die Zeit für die neue Batteriefabrik in Zen­traleuropa vermutlich nicht mehr so sehr. Ein paar Monate mehr Bedenkzeit für die Bürger in Pilsen sind vielleicht auch nicht falsch. Denn eine Pracht ist der Ersatzflughafen, der zum Produktionsstandort für Batterien für Škoda und andere VW-Marken werden könnte, nicht gerade.

Das Gebiet sei seit 30 Jahren baufällig, der Flughafen heruntergekommen, sagt Pilsens Bezirkschef Rudolf Špoták und setzt hinzu: „Wir haben die Möglichkeit, den Standort zu verändern. Wir sind uns bewusst, dass das ein anspruchsvolles und sensibles Projekt ist, aber es liegt in unserer Macht, es zu beeinflussen und der Region Vorteile zu verschaffen.“

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