- Hans Weber
- November 1, 2024
Tschechiens Autobahnen am Limit
Das tschechische Autobahnnetz ist überlastet. Der starke LKW-Transitverkehr sorgt nicht nur für viele Unfälle und kilometerlange Staus – es mangelt auch an Parkmöglichkeiten für die Sattelschlepper. Eine Verlegung der Gütertransporte auf die Schiene ist trotz eines relativ dichten Bahnnetzes kaum leistbar. Wenigstens hat die Regierung das Problem erkannt und drückt beim Autobahnausbau nun aufs Gaspedal.
Wer von Aš im äußersten Westen Tschechiens nach Třinec im östlichsten Teil des Landes fahren will, wird mit einem interessanten Phänomen konfrontiert: Das Navi schlägt ihm oft eine Strecke vor, die über Deutschland und Polen führt. Zwar müssen die Fahrer dann mehr Kilometer zurücklegen, trotzdem kommen sie schneller an im Vergleich zu einer Fahrt über tschechisches Gebiet. Der Grund ist die fehlende Autobahn-Infrastruktur. Im Gegensatz dazu ist nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere in Polen das Autobahn- und Schnellstraßennetz in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut worden. Das wissen auch immer mehr tschechische Autofahrer zu schätzen.
Tschechiens wichtigste Autobahn ist ein Witz
Die wichtigste tschechische Autobahn, die D1, welche Prag, Brünn und Ostrava, also die drei größten Städte des Landes, verbindet, ist seit Jahren hoffnungslos überlastet. Deswegen kommt es dort häufig zu Unfällen, was wiederum kilometerlange Staus verursacht. Und wenn es mal keine Unfälle gibt, wird der Verkehrsfluss durch die vielen Baustellen gebremst. Ein Spruch aus sozialistischen Tagen besagt: Glaubt man mit dem Bau der D1 fertig zu sein, beginnen an deren Anfang schon wieder die Erneuerungsarbeiten. Einer von vielen Sprüchen und Witzen, die über diese Autobahn kursieren.
An Ideen, wie man den Westen mit dem Osten des Landes mit Hilfe einer Autobahn verbinden könnte, hat es in der Vergangenheit nie gefehlt. Schon der legendäre tschechische Unternehmer und Chef des nach ihm benannten Schuh-Imperiums Jan Antonín Baťa stellte 1937 entsprechende Pläne vor. Er wollte innerhalb von drei Jahren eine Autobahn bauen, die von Cheb bis in die Karpato-Ukraine, die damals noch zur Tschechoslowakei gehörte, führen sollte. Der Zweite Weltkrieg und die Machtübernahme durch die Kommunisten kurz danach vereitelten dieses kühne Vorhaben. Im Sozialismus konzentrierte man sich in erster Linie auf den Bau der Autobahn D1, welche die Metropolen der beiden Landesteile der Tschechoslowakei, Prag und Bratislava, verbinden sollte.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stieg das Verkehrsaufkommen im Land rasant an, insbesondere der LKW-Transitverkehr. Somit wurde auch der Ruf nach neuen Autobahnen lauter. Geld und politischer Wille waren vorhanden, dennoch geriet man im Vergleich zu anderen Staaten Mittel- und Osteuropas bald ins Hintertreffen. Warum das so ist, erklärt im Gespräch mit dem MDR der Journalist Jan Sůra, der die Verkehrsnewsplattform zdopravy.cz betreibt.
Zu viel Umweltschutz beim Autobahnbau?
“Die Hauptursache liegt in sehr komplizierten Verfahren, bei denen es lange dauert, bis der Staat die Grundstücke erwirbt, dann die ganzen Baubewilligungen erteilt werden usw. Das ist ein enormer Unterschied zu Polen. Um es einfach auszudrücken: In Tschechien können weitaus mehr Leute reinreden, als in Polen”, sagt Sůra. In der Tat dauert die Vorbereitungsphase für neue Autobahnabschnitte in einigen Fällen mehr als zehn Jahre – deutlich länger als in Polen.
Laut Sůra lässt sich darüber streiten, ob der polnische Weg, vor allem in Bezug auf die Enteignung von privatem Eigentum zu Bauzwecken, der richtige ist. Tatsache sei aber, dass Polen in Bezug auf den Ausbau der Autobahnen mittlerweile weit vor Tschechien liege. Das tschechische Autobahnnetz ist momentan stark fragmentiert – fertige Abschnitte wechseln mit Baustellen und Planungsstrecken ab, an denen die Autofahrer wieder auf die normale Landstraße ausweichen müssen.
Zu den von Sůra erwähnten Gruppen, die immer wieder “reinreden”, gehören zum Beispiel Umweltaktivisten, die sich sehr stark in die verpflichtenden Umweltverträglichkeitsprüfungen einbringen. Diese haben in der Vergangenheit auch einige Jahre lang die Fertigstellung der Autobahn Prag-Dresden verzögert, weil ein Teil der Strecke durch das naturgeschützte Böhmische Mittelgebirge führt.
Allerdings können Politiker die Schuld am langsamen Fortschreiten der Bauarbeiten nicht ausschließlich auf Umweltaktivisten schieben, meint Sůra. Der entscheidende Bruch sei im Jahr 2010 erfolgt, als infolge der globalen Finanzkrise ein rigoroses Sparpaket beschlossen wurde. “Sämtliche Bauarbeiten an Autobahnabschnitten wurden damals gestoppt, auch jene, die sich in der Vorbereitungsphase befanden. Als die nächste Regierung wieder bauen wollte und Geld zur Verfügung stellte, konnte sie nicht, weil die entsprechenden Projekte und Planungen fehlten”, erzählt Sůra.
Raststätten: Zu wenig Stellplätze für Lkw
Ein weiteres Problem die Zahl der LKW-Stellplätze. Von denen sollen gegenwärtig in ganz Tschechien bis zu 2.000 fehlen. Im Sommer wird das Problem besonders sichtbar, weil Fahrer nun erweiterte Ruhezeiten am Wochenende einhalten müssen, die außerhalb der Ferienzeit nicht gelten. Immer wieder parken LKW deshalb schon in den Einfahrten der Raststätten, auf Sperrflächen und sogar auf dem Standstreifen vor der Raststätteneinfahrt.
“Jährlich kommen 100 bis 200 neue Stellplätze hinzu, was natürlich im Vergleich zu früher ein großer Schritt ist, denn wir sind um jeden zusätzlichen Platz froh. Allerdings wird es bei diesem Tempo noch zehn bis 20 Jahre dauern, bis dieses Problem gelöst ist”, sagt Martin Felix, Sprecher des Verbands der tschechischen Straßentransportunternehmer Česmad Bohemia, dem MDR.
Seinen Worten zufolge sehen sich viele LKW-Fahrer mit einem Dilemma konfrontiert: Entweder werden sie die strengen Pausen-Vorschriften einhalten und ihre Fahrt unterbrechen, wo dies gerade möglich ist, oft also auch “wild” parken – oder sie fahren weiter, bis sie einen offiziellen Stellplatz finden, verstoßen dann allerdings gegen die Pausen-Regeln.
Auch Felix kritisiert in diesem Zusammenhang die zu langen Genehmigungsverfahren: “Beim Bau von Parkplätzen und Raststätten können ebenfalls viel zu viele Verbände und Gruppierungen ihren Einfluss geltend machen – auch jene, die mit der Sache an sich gar nichts zu tun haben, nicht davon betroffen sind, aber dennoch Steine in den Weg werfen”, sagt Felix.
Experten fordern höhere Lkw-Maut
Viele Verkehrsexperten kritisieren außerdem, dass der LKW-Transit durch Tschechien zu billig ist. Dies lade international tätige Speditionsfirmen gewissermaßen ein, ihre Fahrten über Tschechien zu planen, weil es billiger ist. Manche Experten fordern daher, dass die Regierung die LKW-Maut erhöht.
Sůra bremst allerdings entsprechende Erwartungen: “Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es sicher schon ein wenig Potenzial, die Streckenmaut zu erhöhen. Andererseits ist Tschechien eine wichtige Drehscheibe in Europa, viele Fahrer kürzen sich ihren Weg über Tschechien ab.” Um eine Wirkung zu entfalten, müsste die Streckenmaut für schwere LKW vergleichsweise hoch sein, meint er, was allerdings einer Regulierung seitens der EU widersprechen würde.
Güter auf die Schiene? Kaum machbar!
Die einzige wirkliche Alternative sieht Sůra in einer stärkeren Bahnnutzung. Allerdings: “In Tschechien fehlt es leider an entsprechenden Kapazitäten, um den Gütertransport auf die Schiene zu verlagern”, so Sůra. Zwar hat Tschechien sein Eisenbahnnetz nach der Samtenen Revolution weniger stark ausgedünnt als manche anderen ehemaligen Ostblockstaaten – doch die vorhandenen Kapazitäten sind vom Personenverkehr belegt. Für umfangreichere Gütertransporte müsste die Bahninfrastruktur ausgebaut werden.
Eine Erhöhung der LKW-Maut können sich die tschechischen Spediteure zudem auch gar nicht leisten, denn der Konkurrenzdruck in der Branche ist groß, wie auch der Sprecher des Verbands der tschechischen Straßentransportunternehmer, Martin Felix, zugibt: “Den größten Druck spüren wir von den Fahrern aus Osteuropa, deren Unternehmen einen sehr aggressiven Kurs verfolgen. Diejenigen, die nicht in der EU sind, haben einen Vorteil, weil sie sich nicht an die ganzen Vorschriften halten müssen. Ebenso beziehen sie ihren Kraftstoff häufig zu weitaus niedrigeren Preisen als wir.”
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