Tschechische Wundertüte

Aus dem Nichts hat Daniel Křetínský ein Firmenimperium mit Milliardenwert aufgebaut. Nun zittern britische Postler vor seinen Plänen.

Er lässt sich nicht in die Karten schauen. Was er mit der Royal Mail vorhat, bleibt undurchsichtig. Aus dem Büro seiner Holding in der Prager Altstadt erfährt man zumindest kein Wort. Allerdings hätte er die Möglichkeit zum Zugriff – und das sogar billig. Vor Kurzem hat der britische Wirtschaftsminister eine Prüfung nach dem Nationalen Sicherheits- und Investitionsgesetz abgeschlossen, ob Daniel Křetínský seine Beteiligung an der Post über 25 Prozent aufstocken darf. Ergebnis: Er darf.

Noch liegt der Milliardär knapp unter einer Beteiligung von einem Viertel. Würde er die Schwelle von 30 Prozent überschreiten, müsste er laut City-Regeln ein Übernahmegebot für die gebeutelte Royal Mail machen. Dann befürchtet die Postgewerkschaft CWU, dass Křetínský das Unternehmen zerschlägt. Er könnte vom verlustmachenden Briefgeschäft den profitablen Paketdienst GLS abspalten und mit vermutlich großem Gewinn verkaufen. Die sieche Post bliebe zurück. Von einer „Kriegserklärung an die Postler“ hat die CWU schon gesprochen. Während auf der Insel vor Weihnachten mehr als 100 000 Briefboten für höhere Löhne streikten, ließ sich Křetínský kein Wort entlocken.

Als „tschechische Sphinx“ tituliert ihn die Presse, auch wenn der gebürtige Brünner Investor, der sich im persönlichen Umgang höflich und zurückhaltend gibt, stets beteuert, er sei ja alles andere als eine Sphinx oder ein Phantom. Trotzdem bleibt an ihm vieles rätselhaft. Auch sein Aufstieg vom Jurastudenten zum Multimilliardär erscheint wundersam.

Bescheidene Anfänge

Geboren 1975 als Sohn eines Informatikwissenschaftlers und einer Rechtsprofessorin hat Křetínský seine Karriere in einer kleinen Anwaltskanzlei in Brünn begonnen, bevor er zur Investmentboutique J&T von Patrik Tkáč wechselte. Der gehört zu jenen Milliardären, die bei der Privatisierungswelle im postkommunistischen Tschechien große Vermögen erwarben – neben Petr Kellner, der bis zu seinem Unfalltod 2021 reichster Mann des Landes war und mit dem Křetínský bei einigen Energiebeteiligungen eng zusammenarbeitete. Dabei lernte er auch Kellners Tochter Anna, eine bekannte Springreitmeisterin, kennen. Seit einigen Jahren sind sie liiert und haben einen Sohn. Allzu viel Zeit bleibt ihm aber nicht für die Familie, seine Yacht oder das Ferienresort in den Malediven, der tschechische Geschäftsmann gilt als Arbeitstier.

Als Student hat er klein angefangen, mit umgerechnet etwa tausend Euro Startkapital seines Stiefvaters, die er erfolgreich zum Spekulieren mit Aktien neu privatisierter Unternehmen einsetzte. Bei J&T lernte er, Investmentdeals zu machen. Schließlich gründete er mit Tkáč eine eigene Holding, die vor allem in Energieunternehmen investierte. Seit 2016 bündelten sie ihre Aktivitäten in der EP Global Commerce. Křetínský, der gerne noch nachts die Bilanzen von Unternehmen durchleuchtet, gilt als kühler Rechner. Als Erfolgsrezept nennt er, angeschlagene Unternehmen, „die wirklich, wirklich schlecht geführt sind“, aufzukaufen und dann die vorhandenen Werte auszuschlachten.

Seit einem Jahrzehnt hat er angefangen, über die Tschechische Republik hinaus zu expandieren und sein Netz auszuwerfen. Einer der größten Fänge war die Metro. Mehr als 40 Prozent hält er inzwischen am Düsseldorfer Handelsriesen. Sein Anlauf zur kompletten Übernahme im Jahr 2018 scheiterte zwar am Widerstand der Beisheim- und der Meridian-Stiftung, doch gewann er schließlich den Machtkampf mit Ex-Vorstandschef Olaf Koch und entsendet inzwischen drei Vertraute in den Aufsichtsrat. Am TV-Konzern ProSiebenSat1 hält er eine Beteiligung, die er indes auf knapp 3 Prozent geschrumpft hat. Bei dem Wiesbadener Immobilienfinanzierer Aareal Bank ist er ebenfalls beteiligt. Auch für Sport interessiert sich Křetínský: In seiner Heimat ist der Sportfan schon seit Jahren als Eigentümer des Fußballklubs Sparta Prag engagiert, in England erwarb er voriges Jahr eine Beteiligung an West Ham United. Zudem ist Křetínský zweitgrößter Aktionär der britischen Supermarktkette Sainsbury’s.

Beteiligungsvariationen wie im Gemischtwarenladen

Sein Firmenimperium, das mit der Holding EP Group und der Investmentgesellschaft Vesa hält, umfasst inzwischen mehr als hundert Beteiligungen an Unternehmen mit mehr als 25 000 Mitarbeitern. Manche fragen, worin seine Strategie liege. Die Beteiligungsvielfalt aus ganz disparaten Branchen gleicht einem Gemischtwarenladen: Kraftwerke und Kohlebergbau in der Tschechischen Republik und Deutschland (unter anderem die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft, Mibrag, und die LEAG in der Lausitz), Groß- und Einzelhandel, Banken, die britische Post, französische Möbelhäuser, eine amerikanische Warenhauskette (Macy’s), einige Medienbeteiligungen in mehreren Ländern und das Château du Marais, ein Louis-XVI-Schlösschen nahe Paris, das er jüngst für gut 40 Millionen Euro gekauft hat und in ein Luxushotel verwandeln will. Křetínský, der fließend Französisch spricht, gilt als ausgesprochen frankophil.

Als der Tscheche vor vier Jahren aber eine Beteiligung an der linksliberalen Pariser Tageszeitung „Le Monde“ erwarb, löste das eine Rebellion in der Redaktion aus, die um ihre Unabhängigkeit fürchtete und eine flammende Protestpetition formulierte. Allerlei Intellektuelle von Jürgen Habermas bis zur linken Autorin Naomi Klein unterzeichneten. So hatte sich Křetínský seinen Empfang in der Pariser Gesellschaft wohl nicht vorgestellt. Ein Journalist der Konkurrenzzeitung „Libération“ schrieb ein vermeintliches Enthüllungsbuch über den vermeintlichen Dunkelmann, der mit seiner Braunkohle auch noch zu den großen Verschmutzern Europas gehöre.

Der Kauf der Lausitzer Braunkohlegeschäfte vom schwedischen Konzern Vattenfall vor sieben Jahren war wohl einer der profitabelsten Coups, der Křetínský geglückt ist. Die Schweden wollten ihre politisch heiklen Kraftwerke und Tagebaue loswerden, der Tscheche mit guten politischen Verbindungen nach Sachsen griff zu. Mit dem Kauf der Anlagen (im Buchwert von 3,4 Milliarden Euro) machte er gut Kasse. Er zahlte nichts, sondern bekam Geld draufgezahlt von Vattenfall: 1,7 Milliarden Euro für die künftige Rekultivierung der Kohlereviere der LEAG zwischen Görlitz und Cottbus. Beim Kohlekompromiss, als die deutsche Politik über das Aus für den Bergbau verhandelte, legten sich die tschechischen Milliardäre Křetínský und Kellner so lange quer, bis sie vom Staat noch mal Milliardensummen als Entschädigung für die Aufgabe ihrer Reviere in Sachsen zugesagt bekamen.

Sein Engagement bei der Royal Mail glich bislang einer Achterbahn. Erst ging es rasant bergauf, als Corona einen Boom der Paketsparte auslöste, dann fiel der Kurs wieder. Die Gewinne sind alle wieder verloren gegangen. Jetzt sieht es nach Dauerkrise aus bei der mehr als fünfhundert Jahre alten britischen Post. Im Jahr 2022 ist der Kurs des Royal-Mail-Konzerns IDS um rund 60 Prozent gefallen. Bei nur noch 2 Milliarden Pfund liegt die Börsenbewertung. Das sei für Křetínský eine günstige Gelegenheit, „um sich die Aktie zu einem Discountpreis zu schnappen“, meint Victoria Scholar von der Anlegerplattform Interactive Investor. Křetínský, der fast nie Interviews gibt, lässt die Briten über seine Pläne im Ungewissen. Gut möglich aber, dass er im neuen Jahr mit neuen Überraschungen kommt.

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