Unter dem Doppeladler

Spätestens mit der Niederlage bei der Schlacht am Weißen Berg 1620 mussten sich die Böhmen damit abfinden, endgültig unter der Herrschaft der Habsburger zu stehen und damit ihre Unabhängigkeit zu verloren zu haben. Der in in Stuck modellierte Doppeladler der Habsburger über dem Eingang des passend Haus zum Schwarzen Adler (dům U Černého orla) genannten Gebäudes in der Mostecká 279/11 auf der Kleinseite, ganz nahe der Karlsbrücke, unterstreicht diesen Machtanspruch Habsburgs deutlich.

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Doppeladler der Gründung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie 1867 sein Leben verdankt – Doppeladler und Doppelmonarchie, das scheint ja auch irgendwie zu passen. Aber der hier abgebildete Doppeladler ist deutlich vor 1867 zu datieren. Also: Das Heilige Römische Reich verwendete ursprünglich den einköpfigen Adler als Wappentier (was seit dem Bismarck-Reich 1871 für Deutschland übernommen wurde). Unter Kaiser Sigismunds wurde jedoch 1433 der Doppeladler eingeführt, weil der Kaiser des Reiches zugleich deutscher König war. In diesem Sinne war bereits das alte Reich eine Art Doppelmonarchie. Ab dem 16. Jahrhundert hatten die Habsburger die Kaiserwürde quasi durchgängig inne, weshalb die Familie den Doppeladler bald übernahm, womit klar war, dass sie Reich und Dynastie als ein unteilbares Ganzes dachten. Ihre jeweiligen unterschiedlichen Ländereien wurden nun durch ein Wappen in der Mitte (im Herzschild) markiert. Genau das sieht man hier: den Doppeladler mit dem  Böhmischen Wappenlöwen (wir berichteten hier) in der Mitte. Als das alte Heilige Römische Reich 1806 zusammenbrach, behielten die Habsburger einfach den Doppeladler für ihr restliches Österreichisches Kaisertum, das dann 1867 in die k.u.k. Österreich-Ungarische Doppelmonarchie (auch Kakanien genannt) überging.

Und nun zum Haus selbst: Dort, wo sich heute dieses dreistöckige Wohngebäude befindet, stand ursprünglich ein gotisches Gebäude. Kaiser Karl IV. (zugleich böhmischer König) hatte es zum Hof des mit ihm verbündeten Mainzer Erzbischofs Ludwig gemacht, der dafür 1376 den Ausschlag bei der Wahl von Karls Sohn Wenzel zum deutschen König gab – für Karl ein Herzenanliegen. Das Haus wurde später – längst nicht mehr im erzbischöflichen Besitz! – immer wieder umgebaut, im Jahre 1583 und noch einmal 1610 im Renaissancestil, wobei es dabei seinen heutigen Grundriss bekam.

Im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts, um 1732, bekam es im Kern die heutige spätbarocke Fassade, die sich durch einen späteren klassizistischen Umbau, der mehr das Innere betraf, nur unwesentlich veränderte. Ein neuerlicher Umbau um 1930 betraf ebenfalls nur den hinteren Teil zum Innenhof.

Selbst in der zum Königsweg gehörenden Mostecká, in der es von schönen Häusern nur so wimmelt, ragt dieses Haus als besonders schön heraus. Die reich bestuckte Fassade mit dem Doppeladler, etlichen zierlichen Schmiedearbeiten, aber auch etlichen hübschen Medaillons wird oben durch ein prachtvolles Gesims abgeschlossen, das Kenner an ein Werk des berühmten Architekten Giovanni Battista Alliprandi erinnert, jenen großen Barockmeister, dem wir die Schönheit der heutigen deutschen Botschaft verdanken (worüber wir hier berichteten).

Hoch über dem dreieckigen Giebel steht eine etwas überlebensgroße barocke Sandsteinstatue des Heiligen Florian. Der scheint seinem Zweck als Patron des Brandschutzes wirkungsvoll zu dienen, denn abgebrannt ist das Gebäude tatsächlich noch nie.

Wer den Doppeladler an der Fassade veranlasst hat, habe ich noch nicht herausgefunden, aber er war offenkundig ein flammend begeisterter Parteigänger der Habsburgerdynastie. Der Adler ist mit seinen fein ziselierten Federn und seiner polychromen Gestaltung so kunstvoll gestaltet (es gibt kaum einen schöneren in Prag!), dass selbst der größte tschechische Patriot nicht umhin kann, ihm etwas abzugewinnen. Auch ist die Schmach vom Weißen Berg schon so lange Geschichte und es hätte den Böhmen auch Schlimmeres an dynastischer Herrschaft passieren können als die Habsburger, so dass schon längst der Schwamm ordentlich drüber gewischt ist. Schön ist es jedenfalls, das Haus zum Schwarzen (Doppel-) Adler. (DD)

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