- Hans Weber
- November 1, 2024
Verfall: Kein Licht am Ende des Tunnels
Bei dem Anblick schießen einem die Tränen in die Augen. Schloss Hořín (Zámek Hořín), gelegen nahe dem Zusammenfluss von Moldau und Elbe und rund 30 Kilometer nördlich von Prag entfernt, bietet ein Bild des Verfalls und Elends. Das einstige Prachtschloss des bedeutenden Adelsgeschlechts Lobkowicz ist durch Vernachlässigung und Fluten in einen Zustand geraten, den man wohl als hoffnungslos bezeichnen muss.
Beginnen wir, wie es ich gehört, am Anfang: Im Jahre 1696 ließ Hermann Jakob Czernin von Chudenitz durch den Architekten Giovanni Battista Alliprandi (wir erwähnten ihn bereits u.a. hier) in dem kleinen, 1319 erstmals als königliches Landgut erwähnten Ort Hořín ein großes barockes Jagdschloss bauen. Folgende Generationen bauten das Schloss stetig weiter aus. Franz Joseph Czernin von Chudenitz ließ dann in den Jahren 1713 bis 1720 das kleine Jagdschloss durch den Architekten Franz Maximilian Kaňka (uns u.a. hierdurch bekannt) in ein richtiges großes Prunk-Schloss verwandeln – zweistöckig mit großen Mansardendächern und drei Flügeln, an deren Bau noch der bekannte Barockarchitekt Filip Spannbrucker mitwirkte.
Zahlreiche Wirtschaftsgebäude wurden hinzugefügt und dazu noch ein großer Landschaftspark angelegt. 1744 ergänzte der Architekt Anselmo Lurago (der auch am Prager Stadtpalast, dem heutigen Außenminsterium, der Czernins mitgebaut hatte) das Schloss um eine stattliche Schlosskapelle. An der künstlerischen Ausstattung wirkten einige der großen „Kunststars“ des damaligen Böhmens mit, wie etwa der königliche Hofbildhauer Ignaz Franz Platzer (siehe auch früheren Beitrag hier) oder der Freskenmaler Johann Peter Molitor. Man sparte an nichts. Schloss Hořín gehörte nunmehr zweifellos zu den größten Schlössern im Umkreis von Prag.
Im Jahre 1753 heiratete eine Sprössin der Familie Czernin, Maria Ludmilla Czernin von und zu Chudenitz, keinen Geringeren als August Anton Joseph, Fürst von Lobkowicz. Damals wie heute gehörte das Geschlecht derer von Lobkowicz zu den wohlhabendsten und bedeutendsten Familien des Landes. Alleine in Prag nannten bzw. nennen sie zwei Paläste ihr eigen, über die wir hier und hier berichteten) und darüber hinaus gibt es unzählige andere in ganz Böhmen/Tschechien (Beispiel hier). Wenn man in solch eine Familie hineinheiratet, dann genügt als Mitgift keine Schachtel Pralinen. Das musste ein wenig mehr sein. Und so ging Schloss Hořín in den Besitz der Familie Lobkowicz über. Egal, wie teuer der Unterhalt eines solchen Schlosses auch sein mochte, die Zukunft des Gebäudes war gesichert. Bis zum Jahr 1939. Da verwandelten die Nazis das Land in das versklavte Reichsprotektorat Böhmen und Mähren. Die der Demokratie und der Ersten Republik treu ergebenen Lobkowiczs wurden enteignet. Als diese Episode zu Ende war, wurde der Besitz, der 1945 kurzfristig rückerstattet worden war, gleich 1948 durch die gerade an die Macht gekommenen Kommunisten abermals enteignet. Die Familie floh ins Exil. Die neuen Machthaber nutzten einen Teil von Schloss Hořín als Landwirtschaftsschule. Den Rest überließ man arger Vernachlässigung.
Als 1989 der kommunistische Spuk beendet wurde, bekamen die Lobkowiczs, die mit keiner totalitären Macht kollaboriert hatten, ihre Besitztümer zurück – was sich in vielen Fällen als große Bürde erwies. Schloss Hořín fiel bei der Restitution 1992 an Jan Jiři Lobkowicz, der aus seinem Exil in der Schweiz zurückgekehrt war, wo er ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen war. Er entstammte der Mělníker Linie des Hauses Lobkowicz, weshalb er auch das fast in Sichtweite auf dem anderen Elbeufer liegende Schloss Mělník restituiert bekam. Das war eine günstig gelegene Touristenattraktion, weshalb das Schloss und der dazugehörige Weinberg sich einigermaßen kostentragend restaurieren ließen. Die Anlage ist heute öffentlich zugänglich und in bestem Zustand. Für das etwas abgelegenere Hořín galt das nicht und die erlittenen Schäden waren auch vie größer. Projekte, das Schloss durch Millioneninvestitionen in etwas ökonomisch Sinnvolles zu verwandeln, verliefen früh im Sande.
Dann verwüstete auch noch im Jahr 2002 das große Moldauhochwasser Schloss und Areal. Und zwar gründlich. Was danach einigermaßen notdürftig reparariert wurde, fiel dem nächsten Hochwasser von 2013 zum Opfer. Alles das betraf nicht nur das Schloss selbst, sondern auch die einstmals prächtige Parkanlage und die Wirtschaftsgebäude, etwa die rechts abgebildete Wassermühle an einem der den Park durchfließenden Kanäle, die schon seit langem ohne Dach verfällt. Im Prinzip ist seither fast nichts mehr in Sachen Renovierung getan worden. Das ganze Areal ist gesperrt und für Besucher unzugänglich. Immer wieder versucht der Stadtrat den Besitzer dazu bewegen, Pläne für den Wiederaufbau vorzulegen – eine Bitte, die er aber bisher nicht nachgekommen ist. Nur wenn an den Grundstücksgrenzen durch eventuelle Einsturzrisiken der öffentliche Raum und Passanten gefährdet sind, kommt es zu Reparaturen, um die Gefahren abzuwenden. Ansonsten verfällt das Schloss zusehends. Und es scheint kein Licht am Ende des Tunnels. Man ist leicht deprimiert, wenn man durch den Zaun auf die Anlage guckt. Im April 2022 gab es Berichte, dass das Schloss verkauft werden solle. Ob dabei am Ende etwas herauskommt?
Einem zum Schlosskomplex gehörenden Bauwerk könnte es möglicherweise bald besser ergehen. Etwas außerhalb des Grundstück und heute mit dem örtlichen Friedhof verbunden, befindet sich nahe des Schlosses das große Mausoleum der Lobkowicz-Familie, genauer gesagt: die Friedhofskapelle des gesegneten Namens Jesu (hřbitovní kaple Nejsvětějšího jména Ježíšova), wo 23 Mitglieder der Familie Lobkowicz ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Die oktogonale Kapelle wurde irgendwann zwischen 1826 und 1849 von dem Wiener Architekten Hans Gasser erbaut. Der Stil ist neobarock und passt daher zum Baustil des – natürlich echt barocken – Schlosses. 1897 wurden hier einige MItglieder der Familie Lobkowicz, die vor dem Bau des Mausoleums verstorben waren, in einer großen Zeremonie, die vom Prager Erzbischof geleitet wurde, hierhin umgebettet.
Zu diesem Zeitpunkt war die Kapelle gerade (Bauzeit 1895-97) durch den berühmten Architekten Josef Schulz um eine halbkreisförmige Grablege ergänzt worden, wo sich nun die meisten der neueren Gräber befinden. Schulz galt als einer der Großmeister des Neobarock und hatte u.a. in Prag das Nationalmuseum (früherer Beitrag hier) und das Kunstgewerbemuseum (hier) gebaut – auch das ein Beleg für den Status der Familie Lobkowicz. Auch die Kapelle wurde bei den Hochwasser 2002 und 2013 schwer beschädigt und die Statik geriet in Gefahr. Vom Friedhof kann man die Anlage nicht mehr betreten. Sie ist abgesperrt. Allerdings dienen die Absperrungen seit 2018 dem Schutz der Baustelle, denn hier wird tatsächlich zur Zeit an der Restauration des Gebäudes gearbeitet. Das ist immerhin ein hoffnungsvolles Zeichen. Aber wann der Wunsch in Erfüllung geht, dass sich auch für das Schloss eine solche Perspektive eröffnet, das steht in den Sternen. (DD)
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