- Hans Weber
- November 1, 2024
Vom Palast zum Mietshaus mit Eule
Hier wurde dereinst eine Eule angebracht, die eine technische Pionierleistung war. Und es wurde Musikgeschichte geschrieben. Überhaupt ist das ein geschichtsträchtiger Ort. Denn wie bei den meisten Häusern in der Altstadt kann man die Ursprünge bis tief ins Mittelalter verfolgen: Zumindest weiß man, dass dort, wo heute der große Plattenstein Palast (Palác Platýz) steht, bis 1347 drei frühgotische Häuser standen.
Glaubt man dem nicht immer ganz verlässlichen Chronisten Václav Hájek z Libočan und seiner Böhmischen Chronik (Kronyka Czeská) von 1541, dann übernahm im Jahr 1347 ein gewisser Friedrich von Burgund das Areal, der zum Hofstaat des Kaisers und böhmischen Königs Karl IV. gehört haben soll. Das ist möglich, denn Karl hatte eine enge Bindung zu Burgund und ließ sich 1365 sogar zum König des Landes ernennen. Wie dem auch sei, in dieser Zeit wurden die Gebäude zu einem Palast zusammengelegt und mit einem Turm ausgestattet. 1405 ging das Gebäude in der Altstadt (heute Národní 416/37) an Jan Bradatý aus Stříbra über, einem reichen Kaufmann, der es zum Bürgermeister brachte, was aber kein Fulltime-Job war, denn seit 1350 bestand der Rat der Prager Altstadt aus 18 Schöffen (Ratsherren), von denen 12 nacheinander für die Dauer von lediglich vier Wochen das Amt des Bürgermeisters ausübten. Aber immerhin! Bradatý machte den Palast erstmals zu einem intellektuellen Zentrum der Stadt. Als überzeugter Hussit organisierte er hier Gelehrtendispute und öffentliche Debatten über theologische Grundfragen, die einiges Aufsehen erregten.
Im Jahre 1586 übernahm Johann Plateis von Plattenstein, der im selben Jahr erst von Rudolf II. in den Adelsstand erhoben worden war, den Palast. 1605 wurde er sogar in den Ritterstand befördert – wohl, weil er treuer Parteigänger der Habsburger und strenger Katholik war. Während des protestantischen und anti-habsburgischen Ständeaufstands, der in Prag 1618 Fuß fasste, musste er sich deshalb allerlei Drangsale gefallen lassen. Den Sieg der Habsburger und die Nierderschlagung der Aufständischen bei der Schlacht am Weißen Berg (wir berichteten hier) erlebte er gerade nicht mehr. Aber er hatte immerhin lange zuvor den Palast radikal umbauen lassen, der fortan nicht mehr gotisch aussah, sondern zu einem Stück echter Renaissance-Architektur wurde. Das Portal zum Uhelný trh ist wohl ein Überrest davon, der besonders durch seine riesigen Poller beeindruckt. Nach seinem Tod des Ritters zog sein Sohn Johann Ernst Plateis von Plattenstein im Palast ein, der es 1636 zum Bischof von Olomouc (Olmütz) brachte und ob rauhen Art, mit der man seinen Vater behandelt hatte, zum strikten Verfechter der Gegenreformation wurde.
Auf jeden Fall trägt das Gebäude seither den Namen des Geschlechts Plateis von Plattenstein (tsch.: Platýz), dessen Wappen heute über einer Bronzetafel, die an die Geschichte des Hauses erinnert, prangt. Der Name wurde auch nicht mehr geändert als 1637 Johann Rudolf Graf von Sternberg (Sternberk) vom Bruder des im selben Jahr verstorbenen Bischofs den Palast erwarb. Unter dem Geschlecht der Sternbergs wurde das Gebäude noch einmal kräftig umgebaut und stilstisch im Barockstil modernisiert. Die große Zeit kam jedoch 1715. Da erbte Johann Leopold, Graf Paar, der klugerweise in die Familie Sternberg eingeheiratet hatte, den Palast. Unter dem Geschlecht der Grafen Paar – insbesondere unter seinem kunstsinnigen Sohn Johann Wenzel Joseph, Graf Paar – entwickelte sich das Anwesen zu einem der großen gesellschaftlichen und kulturellen Treffpunkten Prags, mit prächtigen Bällen und Konzerten, ja sogar einer Fechtschule.
Und es war eine Anlaufstelle für große Künstler, die hier nächtigen und ihre Werke vervollkommen konnten. So etwa auch mit Lorenzo da Ponte, der berühmte Librettist von Wolfgang Amadeus Mozart. Man schrieb das Jahr 1787 und der Termin für die Uraufführung von Mozarts Oper Don Giovanni im Prager Ständetheater (wir berichteten u.a. hier) stand unmittelbar bevor. Dank seines etwas regellosen Arbeitsstils hatte Mozart die Oper aber noch nicht fertigkomponiert. Nun saß er im Haus gegenüber (dem Haus zu den Drei Goldenen Löwen – dům U Tří zlatých lvů -, über das wir bereits berichteten) und arbeitete unter vehementem Zeitdruck. Dabei musste er natürlich permanent mit seinem Librettisten da Ponte Rücksprache halten, der günstigerweise in den Plattenstein Palast eingezogen war. Um Zeit zu sparen, kommunizierten die beiden lautstark durch die offenen Fenster über die enge Straße hinweg (wie nahe beieinander beide Häuser stehen, sieht man im Bild oberhalb rechts). Das schien geklappt zu haben, denn Text und Musik sind beim Don Giovanni eindeutig synchron. Nur mit der textlosen Overtüre kämpfte Mozart am Schluss noch. Die Musiker bekamen die 292 Takte am 29. Oktober 1787 erst Minuten vor Aufführungsbeginn auf den Notenständer. Sie mussten ohne Übung nach der Partitur spielen. Das machten sie wohl gut und die Oper wurde umgehend zum Erfolg. Und sie verdankte ihre Existenz dem Fenster-zu-Fenster-Dialog beim Plattenstein Palast.
Von den Paars ging der Palast 1797 an den Offizier, Industriellen und Mäzen Jakob Wimmer über, den wir bereits hier und hier erwähnten. Unter ihm änderte sich noch wenig. Vor allem ließ er die Stallungen ausbauen. Der große Wandel kam jedoch 1813, als Franz Daubek es erwarb und von 1817 bis 1825 eine radikale Umgestaltung durchführte. Der Palast hörte dadurch auf, Palast im eigentlichen Sinne zu sein, denn Daubek war auf eine bahnbrechende Idee gekommen. Er schuf hier etwas, das heute selbstverständlich ist, und für den größten Teil der Stadtbevölkerung die Realität des Wohnens ausmacht. Er schuf das erste große Mietshaus in Prag. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert waren viele Adelsfamilien aus finanziellen Gründen gezwungen, Teile ihrer Paläste als Wohnungen zu vermieten. Beispiele nannten wir hier und hier. Bei dem kapitalstarken Daubek war es jedoch nicht Verarmung, die ihn dazu veranlasste, sondern geniales unternehmerisches Kalkül, das die Lebensverhältnisse in Prag geradezu revolutionierte. Er legte damit auch den Grundstock zum Reichtum der Familie Daubek, die darob dann 1887 in den Adelsstand gehievt wurde.
Nicht nur der Zweck des Gebäudes, sondern auch die Gestaltung änderte sich dramatisch. Nur wenige Reste der vorherigen Gebäude blieben bestehen. Durch den Architekten Heinrich Hausknecht (erwähnten wir bereits hier) ließ er den Palast radikal umbauen. Hausknecht galt als Meister des damals hochmodischen Klassizismus und klassizistisch sah das Gebäude nach dem Umbau – und im Kern auch heute noch – auch aus. Ganz archetypisch zeigt sich das bei der vorderen Fassade an der Narodní. Die ist streng symmetrisch in klassischen Proportionen gebaut und mit einem schönen Mittelrisalit versehen.
Etwas weniger strikt klassizistisch sieht die Fassade zur Martinská und zum Uhelný trh aus. Hier versuchte der Architekt eine eher an den früheren Renaissancebau erinnernde Aufflockerung der Fassade, nicht zuletzt durch die römischen Kaiser- und Philosophenportraits nachempfundenen Büsten über den Fenstern des Erdgeschosses. Ein Grund dürfte gewesen, dass die Außenfassade hier notgedrungen dem sehr unregelmäßigen, aus dem Mittelalter stammenden Verlauf der Straßen Rechnung tragen, was mit einem allzu strengen und regelgebundenen Klassizismus nicht so recht in Einklang zu bringen ist.
Natürlich ließ auch Daubek noch Platz für einen Konzertsaal und einige Geschäfte. Das verband bald die (nach da Ponte) nächste musikhistorisch bedeutende Persönlichkeit mit demgebäude. Im März 1840 trat zum ersten Male kein Geringerer als Franz (Ferenc) Liszt in sechs ausverkauften Konzerten auf. Er gewann die Herzen der Prager bei der Gelegenheit auch, weil er bei der Gelegenheit ein neues Klavierstück komponierte, das Balsam für die Seele aller tschechischen Nationalisten im Habsburgerreich war, das schwungvolle Hussitenlied (Husitská píseň). Zwischen 1840 und 1846 sollte Liszt hier im Palast noch häufiger vor dem begeisterten Publikum auftreten, woran heute eine Gedenktafel mit Büste erinnert, die 1962 von der großen Bildhauerin Hana Wichterlová angefertigt wurde.
Mozart (allerdings nur gegenüber), da Ponte und Liszt – das ist alles schön und gut. Aber die eigentliche zivilisatorische Großleistung, die mit dem Haus verbunden ist, ist eine Eule. Die Eule (man sieht sie links und im großen Bild oben) ist aus Metall und sitzt auf einer kleinen drehbaren Stangeneben dem Toreingang an der Národní. Sie wurde hier in Daubeks Zeiten installiert (ist also mithin rund 200 Jahre alt) und ist das erste Verkehrszeichen der Stadt. Durch das Tor fuhren dereinst Kutschen, die hier einen Parkplatz fanden. Heute ist es bei Parkhäusern der Standard, dass es ein Leuchtschild gibt, das anzeigt, ob noch drinnen noch Parkplätze frei sind oder nicht. Die Eule hatte dieselbe Funktion. Saß sie aufrecht (wie im Bild rechts), dann konnte man reinfahren und seine Kutsche parken. Hing sie mit dem Kopf nach unten, dann sollte man wegen Überfüllung nicht hereinfahren.
In der Sache war es fast schon so etwas wie eine Ampel und somit seiner Zeit weit voraus, denn die erste moderne Ampel zur Regulierung des Straßenverkehrs in Prag wurde erst 1927 in Betrieb genommen. Es heißt, auf die Idee mit der Eule sei man damals gekommen, weil der Torwächter, der zuvor hier die Ein- und Ausfahrt überwacht hatte, sich in seinem kleinen Wachhäuschen eine echte lebende Eule hielt. Das fand man wohl recht witzig und deshalb wurde übrigens nicht nur die „Ampel“ in Eulenform gestaltet. Auch an den Beschlägen der Türklinken der beiden Toreinfahrten hat man dem beliebten Eulenmotiv Rechnung getragen. Hätte sich nicht der Namen Platýz schon seit den Zeiten der Plattensteins zu eingebürgert, würde man vielleicht heuten vom Eulen-Palast sprechen.
Die Eulenampel ist heute nicht mehr in Betrieb. Heute befindet sich im Innenhof kein Kutschen- oder gar Autoparkplatz mehr. Das Erdgeschoss ist modernisiert und beherbergt viele Nobelläden und vor allem das bekannte Café Platýz (das den Namen der Plattenstein in Tschechisch verewigt). Hier findet man eine Ruheoase – vor allem im Sommer, wenn man die Außengastronomie des Cafés nutzen kann, um sich bei Kaffee, Kuchen und Eis entspannen. (DD)
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