- Hans Weber
- November 1, 2024
Von Exil zur schönen Aussicht über Prag
Heute vor 30 Jahren wurde sie aufgestellt und sie trägt einen für Madonnen recht ungewöhnlichen Namen: Die Statue der Maria aus dem Exil (Panna Maria z Exilu). Und dahinter steckt tatsächlich eine Geschichte von Exil, Flucht und Rückkehr – symptomatisch für die Wirrnisse, die die Totalitarismen des 20, Jahrhunderts hervorbrachten.
Es begann 1948 als die Kommunisten die Macht ergriffen und viele Menschen aus dem Land flohen, um der Schreckensherrschaft zu entgehen. Darunter war auch viele gläubige Katholiken, die besonders viel von der marxistisch-atheistischen Tyrannei zu fürchten hatten (man lese dazu diesen Beitrag). Viele zog es nach Chicago, eine Stadt, in der schon seit Mitte des 19, Jahrhunderts eine große tschechische Diaspora bestand und die um die Jahrhundertwende sogar als die drittgrößte tschechische Stadt galt. Die Exilantengemeinde wollte irgendwie ihre Herzensbindung zur alten Heimat aufrechterhalten und ein besonderes Gedenksymbol errichten, das ihrem Glauben entsprach. Es sollte eine lose Nachbildung der Mariensäule (Mariánský sloup) auf dem Altstädter Ring (Staroměstské náměstí) werden, die 1650 auf Geheiß von Kaiser Ferdinand III. aufgestellt worden war. Die wiederum sollte zunächst vor der von tschechischen Einwanderern 1883 erbauten, zu einem Benediktinerkloster gehörende Kirche St. Procopius positioniert werden, benannt nach dem böhmischen Nationalheiligen Prokop. Und wenn dereinst das kommunistische Joch abgeschüttelt worden sei, würde man die Statue dort aufstellen, wo sich das alte barocke Original auf dem Altstädter Ring befunden hatte.
Und damit war man schon bei einem Problem, das man damals weder wirklich durchdacht hatte in seinen noch in seinen Konsequenzen genau vorhersehen konnte. Denn die alte Marienstatue gab es seit dem 3. November 1918 nicht mehr. Sie war von einer wütenden Menge patriotisch begeisterter Menschen niedergerissen und zerstört worden. Sechs Tage zuvor, am 28 Oktober, war die Erste Tschechoslowakische Republik ausgerufen worden, und die Habsburgerherrschaft in Böhmen gehörte der Vergangenheit an. Nationalistische Tschechen hatten die Mariensäule – nicht ganz zu Unrecht – stets als ein Symbol des Verlustes böhmischer Unabhängigkeit und rigider Zwangskatholisierung betrachtet. Unter Tschechen war die Begeisterung für die Marienstatue der Auswanderer in Chicago nicht ungeteilt nachvollziehbar. Aber das war angesichts der kommunistischen Herrschaft allenfalls ein fernes Zukunftsproblem.
Also ging man ans Werk. Man beauftragte 1954 den in Rom lebenden italienischen Bildhauer Alessandro Monteleone, der die gewünschte Statue aus feinem Carrara-Marmor anfertigte. Als sie im Mai 1955 fertiggestellt war, wurde sie von Kardinal Clemente Micara, dem ehemaligen Nuntius des Vatikans in der Tschechoslowakei, in Rom im tschechischen Papstkollegium (eine theologische Ausbildungsstätte für tschechisch-stämmige Kleriker) Nepomuncenum geweiht, um dann nach Chicago verschifft zu werden. Dort wartete sie vor der St. Procopius Church auf den Untergang des Kommunismus. Der kam 1989 mit der Samtenen Revolution. Die Exil-Maria in Chicago musste aber noch etwas mit ihrer Rückkehr warten,
Und dann war es auch nicht der angedachte Platz auf dem Altstädter Ring, wo die alte Marienstatue 1918 zerstört worden war. Ganz offensichtlich waren die Prager im allgemeinen und die Stadtteilregierung von Prag1 (wo die Altstadt liegt) nicht so recht bereit dazu, etwas hier zuzulassen, was sie immer noch als Symbol der Fremdherrschaft zu erachten schien. Und so suchte man einen anderen Platz und fand ihn direkt vor dem Kloster Strahov (Strahovský klášter; wir berichteten hier), hoch über der Kleinseite und in der Nähe einer kleinen eingefassten Quelle, die passend Marienquelle (pramen Panny Marie) heißt (Bild oberhalb rechts). Die Klosterverwaltung unterstützte das Unterfangen und so wurde sie 1994 hier aufgestellt Prager Erzbischof Kardinal Miloslav Vlk im Zuge einer großen feierlichen Messe geweiht. Vlk wusste um die Härten des Schicksals, die nur zu oft für Gläubige mit der Machtergreifung der Kommunisten verbunden ware – egal, ob dies das erzwungene Exil oder das Ertragen von Repressalien durch die, die blieben. Ständig überwacht war ihm zwischen 1978 und 1989 jede Betätigung im geistlichen Amt verboten worden und er hatte sogar eine zeitlang sein Dasein als Tellerwäscher fristen müssen.
Beim 25. Jubiläum der Aufstellung der Exil-Maria am Rande des Waldstücks vor dem Kloster Strahov im Jahre 2019 war mit Außenminister Tomáš Petříček sogar richtige politische Prominenz anwesen – ein Zeichen dafür, dass sich die Sache generell zu entspannen begann. Die Debatte um eine Wiedererrichtung der Marienstatue am Altstädter Ring (wir berichteten ausführlicher darüber hier) hatte nämlich zunächst drei Jahre nach der Errichtung der Statue der Maria aus dem Exil richtig Fahrt aufgenommen, als der Bildhauer Petr Váňa 1997 mit der Nachbildung der Statue von 1650 begann und eine Kampagne für die Wiederherstellung der 1918 gestürzten Statue startete. Es gab heftige politische Debatten im Stadtrat mit Beschlüssen zugunsten Mariens und deren Rücknahme und Demonstrationen pro und kontra. Erst 2020 wurde Váňas Kopie endgültig auf den Altstädter Ring gestellt. Ende der Debatte!
So gibt es die Maria nun zweimal – einmal wieder auf dem Altstädter Ring und dann eben die Maria beim Kloster Strahov. Vielleicht wäre die Aufstellung der Maria aus Chicago ein versöhnlicheres Signal für den Altstädter Ring gewesen. Denn Bildhauer Monteleone hatte ja keine Kopie, sondern eine etwas modernere und abstrahierendere Nachempfindung angefertigt, die sich in einigen Punkten von der alten (nunmehr kopierten) Marienstatue unterscheidet. Die Statue, die 1918 der Volkswut zum Opfer fiel, schaute milde lächelnd auf die (heute mit 27 Kreuzen markierte) Stelle, wo die Habsburger durch die grausame Hinrichtung der 27 Rädelsführer des auf Glaubensfreiheit und Unabhängigkeit abzielenden Böhmischen Ständeaufstandes von 1618 stattfand. Gleichzeitig setzte sie einen Fuß auf einen Drachen, der wohl den Protestantismus symbolisierte. Das war die eindeutige politische Aussage der Statue, die sie bei vielen Tschechen so unbeliebt machte. Und so ist sie wieder vor Ort.
Bei gleicher Ausrichtung hätte die Maria aus Chicago entrückt nach oben und nicht zur Hinrichtungsstätte geschaut – ebenso wie der (definitiv weniger böse wirkende) Drache den Kopf in eine andere Richtung hält. Aber vielleicht hat die Maria vor dem Kloster Strahov dann doch das große Los gezogen als sie nicht in die Altstadt gestellt wurde. Denn einen schöneren Ort konnte man sich eigentlich kaum ausdenken. Von den barocken Kloster auf der einen und schöner Natur auf der anderen Seite umgeben, kann man auf der kleinen Aussichtsplattform, auf der sie nun steht, einen atemberaubenden Blick über die Stadt von ihrer schönsten Seite genießen. Schöner kann kann man eine Heimkehr aus dem Exil nach Prag eigentlich kaum gestalten. (DD)
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