VW, die schöne Braut und der Bürgermeister

Tschechiens Regierung will eine Batteriefabrik der Volkswagen-Tochtergesellschaft Škoda im Land ansiedeln. Doch rund um den auserkorenen Ort sind die Menschen alles andere als begeistert.

m Trauzimmer des Rathauses von Dobrany hängen zwei großformatige Bilder des österreichischen Landschaftsmalers Josef Langl. Der hatte vor 150 Jahren die sanft gewellte Topografie Böhmens Öl auf Leinwand eingefangen: Weitreichende Getreidefelder, in der Mitte Schienen mit einer dampfenden Lokomotive, rechts neben dem Bahnhof die Brauerei, links die Garnisonsgebäude und am Rand die majestätischen Bauten der neuen Klinik für psychisch Kranke, die man damals ohne jede Scham Irrenanstalt nannte.

Wo würde die Gigafactory von VW stehen? Bürgermeister Martin Sobotka zeigt auf einen Punkt im Wald hinter der Brauerei: „Da etwa.“ Doch es ist unsicher, ob Volkswagen nahe des böhmischen 7000-Einwohner-Städtchens Dobrany, 15 Autominuten westlich von Pilsen, fünf Milliarden Euro in eine Batteriefabrik investieren wird, wie es die Regierung in Prag gerne hätte. VW hatte die bis Ende 2022 versprochene Investitionsentscheidung verschoben. Das liegt nicht zuletzt an Martin Sobotka.

Der Bürgermeister, der soeben noch mit Blick auf Langls Gemälde die Weitsicht und unternehmerische Kraft seiner Vorfahren gelobt hat, gilt vielen in Tschechien inzwischen als die Speerspitze des Widerstands gegen den Bau der Batteriefabrik. Einer Fabrik, die nach Auffassung der Regierung ein Schlüsselprojekt dafür ist, damit die Heimat von Škoda den Anschluss an die elektrische Automobilität behalten kann. Sobotka sieht zwar den Punkt, bleibt aber skeptisch und lädt zur Ortsbesichtigung.

Da, wo der Maler Langl noch Wald platzierte, erstreckt sich heute eine zweieinhalb Kilometer lange Betonpiste mit ein paar Hangars. Sie beherbergen Oldtimer-Flugzeuge und die Rettungshubschrauberstaffel der tschechischen Streitkräfte, die mit ohrenbetäubenden Knattern Start und Landung übt, sowie eine Flugschule mit knapp einem Dutzend Flugzeugen. Marek Borusik, Pilot, Ausbilder und Mechaniker der Flugschule ist eigens herausgekommen, um alles zu zeigen. Er hat Angst um seinen Arbeitsplatz, Freizeitpiloten sorgen sich um ihr Hobby.

Gigantische Industriebrache

Der Militärflughafen hat seine besten Zeiten lange hinter sich. Schlaglochgesäumte Straßen führen vorbei an rostigen Wellblechbuden, rostigen Zäunen, fensterlosen Baracken, eingestürzten Betonbauten. Hier und da ragen Rohre und Metallschwellen aus der Erde, Birken und Eschen schießen aus den Fundamenten längst vergangener Häuser, irgendwo kreischt eine Motorsäge, Bagger beladen Eisenbahnwaggons mit Holz.

Das tschechische Militär, Eigentümer des Geländes, prozessiert seit Langem gegen den Pächter, weil er Abmachungen nicht eingehalten habe. Am Eingang zum Geländer, da wo ein alter Mann in einem kleinen Wachhäuschen nach dem Woher und Wohin fragt, weisen Schilder den Weg zu Transportunternehmen, zur Helikopterstaffel, zu einer Paintball-Anlage. Ein großes Transparent verkündet: „Stopp Gigafactory.“

Hier also soll nach dem Willen der tschechischen Regierung und dem der VW Tochtergesellschaft Škoda, das nächste große Ding in der europäischen Batterieproduktion entstehen. Die Autobahn D5 von Prag nach Nürnberg ist nicht weit, es gibt Eisenbahnanschluss, das Gelände ist groß, und viel zu verlieren hat die gigantische Industriebrache augenscheinlich auch nicht.

Sperrgürtel aus Grundstücken

Da ist Sobotka ganz anderer Meinung. Mit dem Segen des Gemeinderates hat er sukzessive Grundstücke gekauft und im südlichen Teil des Geländes eine Art Sperrgürtel organisiert. Im Norden haben die 100 Bewohner des angrenzenden Dorfs Nová Ves Grundstücke gekauft und per Volksabstimmung festgelegt, dass die in den nächsten zwei Jahren nicht verkauft werden dürfen.

Auf dem elektronischen Flipchart in seinem Büro zeichnet Sobotka fingerfertig mit bunten Farben die Grundstücke ein, die anliegenden Gemeinden erworben haben, markiert mit roter Farbe das von Prag als Industriezone gedachte Gelände, x-t die Flächen wieder aus, die „auf gar keinen Fall akzeptabel sind“ und schraffiert die drei Bauabschnitte der Gigafactory, auf die man sich vielleicht einigen könnte, blau mit den Fertigstellungsdaten 2027, 2029, 2031.

Nicht jeder ist glücklich: Protestplakat gegen die Batteriefabrik
Nicht jeder ist glücklich: Protestplakat gegen die Batteriefabrik :Bild: Andreas Mihm

Sobotka legt Wert auf die Feststellung, dass er nicht gegen die Gigafactory sei, sondern für einen umweltverträglichen, maßvollen Umbau der Industriebrache. Nicht 700 Hektar, sondern allenfalls 200 Hektar dürften industriell, weitere 80 für Infrastruktur wie Kindergärten, Feuerwehr genutzt werden. Die Natur müsse geschützt, der Waldgürtel um die Industriezone geschlossen werden. Doch das ist nicht alles.

Neue Wohnungen sollen für die bis zu 4000 Beschäftigten gebaut werden, aber nur mit Zustimmung der Kommunen. Der Staat soll Geld für den Ausbau von Kindergärten und Schulen zusagen. Sie verlangen Mitsprache beim Bau von Ortsumgehungen oder Autobahnanbindungen. Weil VW die Transporte weitgehend per Bahn abwickeln will, müsse die überfällige Modernisierung der Bahnstrecke nach Westen beschleunigt werden.

Junge Männer als Problem

Zudem müsse festgelegt werden, dass nur 8 Prozent der Beschäftigten Leiharbeiter seien. Mit solchen Zuwanderern aus anderen Staaten habe man im Land schlechte Erfahrung gemacht, sagt Sobotka. Junge Männer in überbelegten Wohnungen, die in ihrer Freizeit nicht wüssten, was sie mit sich anfangen sollten. Das schaffe nur Probleme.

Martin Sobotka ist kein gelernter Politiker. Er hat in der Polizeiakademie studiert, ist dann aber in den Journalismus gegangen. Jetzt ist er 50 Jahre alt und seit acht Jahren Bürgermeister in Dobrany. Im vergangenen Jahr haben sie ihn und seine lokale Wählerinitiative „Aktivni Dobrany“ mit 62 Prozent wieder gewählt. Als es im Dezember darum ging, ob er die gesetzlich mögliche Erfolgsprämie von zwei Monatsgehältern bekommen sollte, habe die Opposition zugestimmt, berichtet er.

Finanziell leisten kann seine Gemeinde sich auch das. Sie stehe, sagt der Bürgermeister, vergleichsweise gut da und investiere dreimal mehr als der Durchschnitt vergleichbarer Gemeinden in Abwasserleitungen, Straßenbau, Parks, Kindergärten, die Sanierung städtischer Immobilien. „Das ist verdammt viel Arbeit.“ Die zusätzlichen Steuereinnahmen von 100 Millionen Kronen, umgerechnet vier Millionen Euro, die die Gemeinde durch die Gigafactory erwarten könne, habe sie nicht nötig. „Ein Goldrausch kann sehr gefährlich sein”, sagt Sobotka und versucht den Satz, mit einem Witz die Schärfe zu nehmen: Am Ende habe man noch eine Stadt voller Faulpelze.

Bürgermeister mit Forderungen: Martin Sobotka auf dem Gelände, auf dem die Batteriefabrik entstehen könnte
Bürgermeister mit Forderungen: Martin Sobotka auf dem Gelände, auf dem die Batteriefabrik entstehen könnte :Bild: Andreas Mihm

Sobotka weiß, dass er einen politisch gefährlichen Kampf führt. Monatlich berichtet er über die Gigafactory im Gemeindeblatt. Angefangen hat er damit im Mai vergangenen Jahres, und zwar in Form eines, wie er sagt, Märchens. Darin ist die Gigafabrik ein Drache. Ob Martin Sobotka hinterher als drachentötender Heiliger Georg von Dobrany enden wird, ist allerdings noch nicht ausgemacht.

Dass er mit seiner Kritik an der Regierung in Prag auch Beifall bekommt vom, wie er sagt, „braunen politischen Rand“, passt ihm sichtlich nicht. Er weiß zudem, dass er manch einem als Verräter gelten wird, falls es doch zu einer Übereinkunft mit Volkswagen und der Regierung kommt. Und danach könnte es durchaus aussehen.

Die schöne Braut ist vorsichtig

Denn von den vielen Punkten, die Sobotka mit seinen Kollegen in den umliegenden Dörfern als Bedingung genannt haben, scheinen die meisten inzwischen akzeptabel zu sein. Sogar den Flugschulen und Piloten hat man eine Alternative angeboten – den Ausbau eines nahe gelegenen anderen Flugfeldes.

„Wir sind eine sehr schöne Braut“, sagt Sobotka unter Anspielung darauf, dass die Regierung keine Alternativen für das Industriezentrum habe. Laut der staatlichen Investitionsagentur wurden 13 Standorte geprüft, aber keiner habe so gut abgeschnitten wie der Flugplatz Líně nahe Dobrany.

Zudem hat Tschechien Erfahrung, alte Militärflughäfen zu Industriezonen umzuwidmen: Im benachbarten Pilsen war das bald nach der Wende mit großem Erfolg geschehen. Auch deshalb verhalte sich die Regierung wie ein liebestoller Bräutigam, der der Braut, alles verspreche, Hauptsache sie folge ihm. „Ich als Braut bin da deshalb etwas vorsichtig“, sagt der verheiratete Vater dreier Töchter.

Sobotka will wasserdichte Zusagen und gesetzgeberische Klarheit. Enteignungen, die auch immer mal wieder im Gespräch sind, müssten unterbleiben. Er will einen akzeptablen Rahmen für einen Industriepark, gleich, ob ihn nun VW oder andere später nutzen würden.

Premierminister Petr Fiala hat allerdings schon mal durchblicken lassen, dass es wohl darauf hinauslaufe: VW oder keiner. Ausbaupläne habe es immer wieder gegeben, sagt dagegen Sobotka. Unter anderem zum Bau von Wohnungen für Zehntausende, samt Shoppingzentrum, Aqua Park und mehr. Das sei alles zerstoben wie Seifenblasen. Teile der Grundstücke hat er inzwischen billig für die Gemeinde erworben.

Woher kommen die Arbeitskräfte?

„Die, die nahe am Gelände leben, sind dagegen, die, die etwas weiter weg sind, sind dafür und meine Kollegen aus den anderen Regionen beneiden mich“, sagt Rudolf Špoták. Der Präsident der Region Pilsen, die das Gelände entwickeln soll, zeigt Verständnis für die Nöte der Menschen rund um Dobrany und sucht doch einen Kompromiss. Der Kreis hat der Begrenzung der Baufläche auf 280 statt 700 Hektar Anfang Februar zugestimmt. Damit folge man Wünschen der Regierung in Prag. „Und wir reagieren auch auf die Forderung der Gemeinden, die Zone zu verkleinern“, sagt Špoták.

Den selbstbewussten Regionalpolitiker („Wir können mehr, als nur Bier brauen.“) und gelernten Personalmanager beschäftigt die Frage, woher die Arbeitskräfte kommen sollen. Mit 3 Prozent sei die Arbeitslosenquote in Pilsen schon heute die niedrigste im Land. Dabei stünden schon jetzt 12.000 ukrainische Flüchtlinge in Lohn und Brot.

Andererseits werde die Gigafactory den Umbau der westböhmischen Wirtschaft zu noch mehr Forschung und weniger „verlängerter Werkbank“ beschleunigen, sagt Richard Brunner. Der leitet die für Westböhmen zuständige Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer Regensburg aus der benachbarten Region Oberpfalz. Auch in Bayern, wohin jeden Tag 36.000 Tschechen zum Arbeiten einpendeln, werde man den Nachfragesog eines Arbeitgebers wie VW spüren. Brunner sieht dennoch in der Ansiedlung eine Chance für ganz Tschechien. So wie Regionalpräsident Špoták, der sagt: „Wenn wir diesen Zug verpassen, dann haben wir ein großes Problem.“

Womöglich hängt die Frage, ob VW die Batteriefabrik in Líně bauen wird, am Ende am ehrgeizigen Zeitplan. Ende 2024 soll mit den Bauarbeiten begonnen werden, im Jahr 2027 sollen die ersten Batterien das Werk verlassen. Doch allein die Umweltverträglichkeitsprüfung werde sich ein Jahr hinziehen, gibt Sobotka zu bedenken. Zudem müsste das Gelände nivelliert werden, große Mengen Erde bewegt werden, von der niemand genau wisse, was Militär und Unternehmen dort alles hinterlassen hätten: Öl und Munitionsreste vielleicht oder sogar Schwermetallrückstände.

VW hatte die Verschiebung der Investitionsentscheidung Ende vorigen Jahres allerdings damit begründet, dass man keinen Zeitdruck habe. Auch Polen und Ungarn sind als potentielle Standorte im Gespräch.

Draußen auf dem Flugfeld dreht der rotlackierte Rettungshubschrauber immer noch dröhnend seine Kreise über der Betonpiste, die, geht es nach der Regierung in Prag, bald die gigantische Batteriefabrik tragen soll. Sobotka steht, die schwarze Jacke halb geöffnet, im Nieselregen und zeigt auf die gegenüberliegende Seite: Das alles müsste Naturfläche bleiben. Man müsse weitsichtig handeln, das sei man nachfolgenden Generationen schuldig.

So wie vor 150 Jahren. Die von zukunftsorientierten Investoren gebaute Eisenbahn, der Bahnhof, das Brauereigebäude und die Heilanstalt für psychisch Kranke stehen immer noch. Die Schließung der Krankenanstalt hat Sobotka erfolgreich verhindert. Mit 1300 Beschäftigten ist sie der größte Arbeitgeber am Ort. Und wird das auch bleiben – für ein paar Jahre auf jeden Fall.

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