- Hans Weber
- November 1, 2024
Wenzel über der Räucherei
Der typische Adler auf dem Schildwappen ist vom Mantel überdeckt. Das Banner, das er sonst mit sich trägt, hat er wohl zu Hause bei seiner Frau, deren Namen nicht überliefert ist, liegen gelassen. Aber es handelt sich dennoch eindeutig um den Heiligen Wenzel. Und damit passt das Bild hier zum heutigen Wenzelstag.
Von seinen klassischen Attributen in der künstlerischen Darstellung ist im Prinzip nur der Herzogshut deutlich erkennbar, der für den Heiligen allerdings so erst im 14. Jahrhundert unter Kaiser Karl IV. in Form der sogenannten Wenzelskrone herbeiimaginiert wurde. So eine Kopfbedeckung hat er möglicherweise in Wirklichkeit nicht getragen. Aber der Herzogsrang, der mit dem Hut versinnbildlicht wird, stimmt bei Wenzel und entspricht der festgelegten Ikonographie. Und so thront der heilige Herzog nun in sehr würdiger Pose und mit ausgesprochen frommen Blick oben auf einer Säule an der Ecke des vierstöckigen Wohn- und Mietshauses in der Svobodova 138/5, Ecke Vinařického im Talbereich des Stadtteils Vyšehrad (Prag 2) stehend.
Der Herzogshut wurde hier übrigens wesentlich schlichter und weniger mit Schmuck besetzt dargestellt als es bei der Wenzelskrone Karls IV. der Fall ist, womit man dem guten Wenzel eine Aura christlicher Bescheidenheit geben wollte. Sich den Heiligen Wenzel in die Hausfassade einzubauen, war damals durchaus nicht unüblich (einige Beispiele zeigten wir hier und hier). Da Wenzel der böhmische Nationalheilige schlechthin ist, diente sein Abbild um die Jahrhundert als ein Stück Zuschaustellung einer tschechisch-nationalistischen Gesinnung, die möglicherweise ein wenig Kritik am österreichischen Habsburgertum implizierte.
Das Haus, vor dem er hier nun steht, wurde in den Jahren 1902/03 von dem Architekten und Bauunternehmer Jan Klecanský erbaut, der am ehesten durch den Bau des Rathauses der mittelböhmischen Stadt Kolín bekannt geworden ist. 1906 erfolgte noch ein größerer Umbau, als der Architekt František Hodek im Souterrain eine Räucherei einbaute, die es aber nicht mehr gibt.
Es handelt sich bei dem Gebäude (das ein wenig Farbauffrischung gebrauchen könnte) im einem sehr zurückhaltend und geschmackvoll gestaltetes Beispiel für die Architektur des Jugendstil, der – vor allem durch die überlebensgroße Wenzelsstatue – mit einigen historistischen Elementen versetzt ist. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die sehr geometrischen Jugendstilfenster. Der Heilige Wenzel fällt allerdings (zumindest auf den ersten Blick) mehr auf. Er ist Nationalheiliger geblieben, weshalb heute auch sein Feiertag ist. Allerdings sind die Tschechen nicht mehr so fromm, wie sie es früher mal gewesen sein mögen. Deshalb heißt der Wenzelstag in seiner Eigenschaft als Nationalfeiertag „Tag der tschechischen Staatlichkeit“ (die der Heilige im 9. Jahrundert bekanntlich mitbegründet hat). (DD)
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