Wo einst Jesuiten lehrten und heute Politiker tagen

Das Abgeordnetenhaus der Tschechischen Republik (die erste Parlamentskammer) wurde nach 1993 im Thunovský-Palais (Thun Palast) auf der Kleinseite untergebracht, wo in Habsburger Zeiten der alte Böhmische Landtag tagte. Der war ein eher ständisch-elitäres und daher kleines Gremium und die kleinen Räumlichkeiten des Palais‘ reichten daher völlig aus. Ein modernes Parlament braucht heute mehr Platz, weshalb die Kammer etliche Gebäude der unmittelbarsten Nachbarschaft besitzt, die das Raumproblem lindern. So etwa das ehemalige Jesuitengymnasium (Jezuitské Gymnázium) in der Sněmovní 1/1 auf der Kleinseite.

Die Geschichte dieses Prachtgebäudes reicht natürlich in eine Zeit vor der parlamentarischen Nutzung durch die verschiedenen „Klubs„, wie man die Fraktionen der Parteien gemäß alt-österreichischen Usus nennt. Eine Bebauung ist schon seit dem 12. Jahrhundert archäologisch nachgewiesen und in der gotischen Epoche im 14. Jahrhundert standen hier drei verschiedene Wohnhäuser, von denen teilweise noch die Kellergewölbe bis heute überlebt haben. Während der Hussitenkriege um 1420 kam es zu größeren Zerstörungen und erst um 1459 wurden die Häuser wieder bewohnt. Nach dem großen  Feuer von 1541, das diesen Teil der Kleinseite stark in Mitleidenschaft zog, wurden sie im Stil der Renaissance renoviert. Eines der Häuser, das U tří labutí (Zu den drei Schwänen) genannt wurde, kauften 1629 die Jesuiten, die es im Zuge der Gegenreformation 1654 zu einer schulischen Bildungsstätte umfunktionierten.

Die Einrichtung war so erfolgreich, dass man 1711 zur Erweiterung die beiden anderen Gebäude (die vorher einem kaiserlichen Feldherren und Statthalter namens Baltazar de Marradas gehört hatten) ebenfalls erwarb und von dem berühmten Barockarchitekten Christoph Dientzenhofer bis 1724 in einen einheitlichen Gymnasiumsbau umwandelte. Das Ganze war opulent-luxuriös eingerichtet – mit Unterrichtsräumen, Unterkünften, zwei luftigen großen Innenhöfen (den südlichen sieht man rechts) einer Kapelle, einer Krankenstation und sogar einem Theater. Das geradezu dramatisch inszenierte Eingangsportal (wir sehen es im großen Bild oben) machte dem Eintretenden von Anfang an klar, dass hier das Jesuitentum sich dem Zenit seiner Einflussmacht näherte.

Der kam allerdings 1773 mit der Auflösung des Jesuitenordens zu einem abrupten Ende. Zwar nennt man bis heute das Gebäude meist immer noch Jesuitengymnasium, aber die Jesuiten bekamen das Gebäude auch nach ihrer Wiederzulassung im Jahre 1814 nicht zurückerstattet und es sollte die damit verbundene Funktion nie wieder ausfüllen. Stattdessen wurde das Gebäude nach einer Erweiterung um das westlich gelegene Gebäude einer hier seit 1623 residierenden Gerichtskammer in den Verwaltungssitz des kaiserlichen Gouverneurs (die sogenannte Statthalterei) von Böhmen umgewandelt. Dabei erfolgten innen wie außen (so z.B. das links abgebildete Portal an der Südseite) etliche Veränderungen im Stil des Klassizismus, die schon kurz nach 1814 weitgehend abgeschlossen waren.

Das mit der Statthalterei für den Kaiser endete mit dem Ende des Habsburgerreichs und der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei 1918. Der letzte Gouverneur, Max Graf von Coudenhove, zog aus. Die neue Republik wusste zuerst nicht so recht, was sie mit dem neuen Gebäude anfangen sollte, bis sie hier nach größeren Umbauten im Inneren nach den Plänen des Architekten Jan Feigl hier das Regionalamt einrichtete. Unter den Kommunisten wurde es dem Innenministerium unterstellt. Der Kommunismus brach 1989 zusammen und für kurze Zeit zog hier die kulturfördernde Linhartova nadace (Linhart Stiftung) ein, Mit dem Beschluss von 1993, die Tschechoslowakei aufzulösen und die Tschechische Republik zu gründen, ging auch der Beschluss einher, das Parlament zu verlagern. Dafür wurde nunmehr im alten Jesuitengymnasium ein Erweiterungsbau des Parlamentes für den zu kleinen Thun Palast eingerichtet. Für die Planungen der 1997 fertiggestellten Modernisierungen und Umbauten zeichnete sich der Architekt Jiří Novák verantwortlich.

In dem Gebäude sind heute zahlreiche Räumlichkeiten für die Parlamentsverwaltung und für die Fraktionen untergebracht. Auch können sich hier Abgeordnete in höchst gepflegten Salons diskret mit Gesprächspartnern treffen und besprechen. Wie alle Tagungsräumlichkeiten sind sie in dem (sorgfältig restaurierten) klassizistischen Stil gehalten – so wie es seit 1814 der Fall war, in dem das Jesuitengymnasium in eine staatliche Einrichtung verwandelt wurde. Die Salons befinden sich im zweiten Stock und sind jeweils in einem Farbton gehalten nachdem sie dann auch benannt sind – etwa die Blaue Lounge (man sieht sie im Bild links) oder die Rote Lounge.

Aber auch für größere Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit parlamentarischer Tätigkeit stehen, stehen verschiedene Tagungsräume und vor allem der ebenfalls im zweiten Stock befindliche große Sitzungssaal zur Verfügung. Auch hier kann man eine wunderschön restaurierte klassizistsiche Innenndekoration bewundern. Auf dem Bild rechts sieht man das im Herbst 2023 stattgefunden habende Treffen der Inter-Parliamentary Alliance on China, eine länder- und parteiübergreifende Parlamentariervereinigung, die sich dem imperialen Expansionsdrang der Volksrepublik China und seinen Folgen für die freie Welt widmen. Eröffnet wurde das Treffen, wie es sich gehört, von Markéta Pekarová Adamová, der Präsidentin des Abgeordnetenhauses und somit offizielle Gastgeberin für alle großen Meetings, die hier stattfinden.

Das alte Jesuitengymnasium gehört zu den schönsten Nebengebäuden des Abgeordnetenhauses. Jedenfalls haben die einst hier lehrenden Jesuiten den heute hier tagenden Politikern ein stattliches Gebäude hinterlassen, das seinem Zweck – die Schaffung von mehr Raum – mehr als gerecht wird. Das alte, eigentlich vor-demokratische Gebäude verleiht irgendwie heute dem modernen Parlamentsbetrieb ein schönes Stück historischer Würde, obwohl es nicht für diesen Zweck erbaut wurde. Mit seinem wohlerhaltenen und blitzblank restaurierten klassizistischen Interieur bezaubert es auf jeden Fall alle, die einmal die seltene Gelegenheit haben, das Gebäude von innen zu sehen. (DD)

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