- Hans Weber
- November 1, 2024
Wo Ludmilla zur Märtyrerkrone kam
Den Ort umgibt seither eine Aura des Mystischen. Was nicht zuletzt von der pittoresken Landschaft und dem romantischen Ortskern unterstrichen wird, der seine entsprechende Wirkung kaum verfehlt. Es fängt schon damit an, dass Tetín nicht nur auf dem Rand der hohen Felsklippen des Böhmischen Karstes an der Berounka steht, sondern, dass hinter dieser „Fassade“, der Ort sich in einer Talmulde fortsetzt, die ebenfalls von Felsen und Wäldern umgeben ist – wie das Bild links zeigt.
Und außerdem: Der Blick von vom Fluss hinauf mag ja schon beeindruckend sein, aber der von oben auf den Fluss ist es nicht minder! So weit das Auge reicht – nichts als schöne Landschaft! Es gibt gute Gründe, warum Tetín und seine Umgebung ein äußerst beliebtes Nahausflugsziel für die Prager Stadtmenschen ist. Die Schönheit des Ortes stimmt den Betrachter schon auf die mythische Vergangenheit ein, die hier überall sicht- und fühlbar ist.
Es beginnt schon mit dem Namen Tetín. Der soll sich der mittelaterlichen Überlieferung zu Folge vom Namen Tetas ableiten. Teta war eine legendäre vorzeitliche Priesterin und Schwester von Libuše, der sagenhaften Stammmutter des (später tatsächlich historisch bedeutenden) böhmischen Herrschergeschlechts der Přemysliden, das bis zum 14. Jahrhundert das Land regierte. Die andere Schwester, die heilkundige Kazi, hatte angeblich ihre eigene Burg ganz in der Nähe (wir berichteten hier). Ob es Teta je gegeben hat und, ob sie den Ort wirklich gegründet hat, ist zweifelhaft. Was man Dank archäologische Forschung weiß, ist, dass der Ort schon in der Jungssteinzeit besiedelt war, und dass in der frühen Zeit der Přemysliden-Herrschaft hier tatsächlich ein befestigtes Dorf oder eine Dorffestung aufgebaut wurde.
Kommen wir zu Ludmilla, die hier irgendwie allgegenwärtig ist. Am sichtbarsten natürlich in Form einer großen Statue, die auf einer Säule ruht (Bild rechts). Auf „Burg Tetín“ soll sie ihr gewaltsames Ende gefunden haben. Tatsächlich gibt es am Rande des Ortes eine alte Burgruine (über die wir noch berichten werden). Die stammt aber aus dem späten 13. Jahrhundert und das war doch einige Jahrhunderte nach der Mordtat. Vielmehr muss man die zu Ludmillas zeiten existierende Siedlung als eine eigene Festung betrachten, in deren Mauern sie gemeuchelt wurde. Aber wie konnte es dazu kommen und wer war Ludmilla?
Sie war die Witwe des ersten überlieferten böhmischen Přemysliden-Herrschers Bořivoj I., der sich um das Jahr 883 als erster Fürst christlich taufen ließ. Nach dessen Tod 889 wurden nacheinander die Söhne Spytihněv und Vratislav I. Herrscher des Böhmen. Als letzter starb war Ärger vorprogrammiert, denn Vratislavs Frau Drahomíra wurde zwar Regentin für die minderjährigen Söhne, aber für deren Erziehung bis zur Volljährigkeit wurde Ludmilla eingesetzt. Ob Drahomira wirklich eine Heidin gewesen war, ist umstritten, aber zumindest ergab sich schnell eine unschöne Vermischung von religiösen Glaubens- und politischen Machtfragen. Wenn man sich an die Kirchenstrukturen des Westens anhängte bedeutete das eine enge politische Bindung an das deutsche Kaisertum, was Ludmilla favorisierte und ihrem Enkel, dem späteren Heiligen Wenzel einbläute. Oder sollte man andere kirchliche Wege – slawisch oder byzantinisch – gehen? Jedenfalls fand Drahomira, das Ludmilla ihre Kreise störte.
Sie ließ Ludmilla hierhin nach Tetín verbannen. Aber das war ja nicht weit weg gelegen und Drahomira wollte wohl auf Nummer sicher gehen, dass sich die ungeliebte Schwiegermutter nicht wieder in die Politik einmischt. Und auch Ludmilla soll der Legende nach geahnt haben, dass ihr gewaltsames Ende geplant sei. Sie versenkte sich in der kleinen Kirche zum Gebet und wartete auf die Mörder, zwei Wikinger aus dem Gefolge der Drahomira namens Tunna und Gommon. Ludmillas letzter Wunsch soll es gewesen sein, dass ganz stilecht ihr Märtyrerblut vergossen werden möge. Aus lauter Gemeinheit verweigerten ihr die Mörder das und erwürgten sie kurzerhand mit ihrem eigenen Halstuch. Die Bosheit machte sich nicht wirklich bezahlt, denn Ludmilla wurde trotzdem schon bald von der Kirche zur heiligen Märtyrerin eingestuft. So sieht man sie auch auf dem barocken Bild dargestellt, das man oberhalb rechts sieht, und das sich in der 1685 erbauten Gemeindekirche der Heiligen Ludmilla (Kostel sv. Ludmily) befindet, die wiederum an Stelle der Kirche errichtet wurde, wo sie ihre letzten Gebete getan hatte. Sie ist klassisch mit Märtyrerpalme, Herzoginnenkrone und dem Halstuck, mit dem sie erwürgt wurde, dargestellt.
Drahomira verjagte nun einige der deutschen Orden, die sich in Böhmen angesiedelt hatte, konnte aber ihre Macht nur so lange genießen bis Wenzel volljährig wurde. Der machte die Entscheidungen rückgängig und regierte im Geist der Großmutter, deren Erziehung anscheinend erfolgreich gewesen war. Und so wird Ludmilla ja auch durch die erwähnte (ebenfalls barocke) Statue vor der Kirche dargestellt: Als Erzieherin, die den kleinen Wenzel (der etwas pausbäckig erscheint) auf den Armen trägt – auch das Teil der klassischen Ludmilla-Ikonographie. Wenzel sollte übrigens später von seinem Bruder ermordet werden, was auch ihm die Märtyrerkrone einbrachte.
Zurück nach Tetín: Der kleine Ort hat – nicht zuletzt wegen seiner Heiligengeschichte – drei Kirchen. Die der Heiligen Ludmilla hatten wir erwähnt. Die steht auf mittelalterlichen Fundamenten. Der Grundriss folgt noch einem gotischen Bau, der tatsächlich anstelle der älteren Kirche gestanden haben mag, in der Ludmilla kurz vor ihrem Ende betete. Heute erkennt man aber nur den Barockbau des späten 17. Ajhrhundert. DIe Kirche war lange in Klosterbesitz, wurde aber nach den Klosterenteignungen unter Kaiser Joseph II. in den 1780er Jahren zur bloßen Gemeindekirche umfunktioniert. Bei den Bildern und Skulpturen im Innenraum dominieren böhmische Heilige – allen voran Ludmilla.
Direkt neben der Ludmilla-Kirche steht die Katherinen-Kirche (kostel sv. Kateřiny). Sie ist die kleinste der drei Kirchen im Orte. Der Bau wird wesentlich schlichter, nicht zuletzt weil er auch nicht im überbordenden Barockstil gehalten ist. Sie wurde um 1200 im romanischen Stil erbaut. 1858 erfolgten Renovierungs- und umbauarbeiten, die den schlichten Originalcharakter noch unterstrichen. Auch sie war ursprünglich Klosterbesitz und hatte bei der Enteignung mehr Pech als die Ludmilla-Kirche. Sie wurde als Lagerhalle verwendet bzw. misbraucht. Die Restauration von 1858 machte den Schaden, der dadurch entstand, ein wenig gut.
Die zweifellos am dekorativsten gelegene der drei Kirchen ist jene, die man unten vom Flussufer (großes Bild oben) erkennen kann: Die Kirche des Heiligen Nepomuk (kostel sv. Jana Nepomuckého). Die wurde bereits 1357 erbaut und zwar noch unter dem Namen Kirche des Heiligen Michael. Ging ja auch nicht anders, denn als die Kirche geweiht wurde, lebte Nepomuk noch und hatte sich seine Heiligkeit noch nicht durch Märtyrertod verdient (der erfolgte erst 1393). Wie die Ludmilla-Kirche wurde sie im späten 17. Jahrhundert barockisiert.
Die Säkularisierung im Zuge bekam ihr zunächst nicht gut, aber im 19. Jahrhundert fand sich ein Retter in Gestalt des Schlossbesitzers und Dichters Vácslav Vojáček (ein gebürtiger Tetíner), der in den 1870er Jahren die Instandsetzung betrieb, so dass die Kirche heute recht schmuck aussieht. Vojáček verdankt man übrigens auch ein 1843 verfasstes Drama über Ludmilla, die ja nun einmal die Ortheilige ist. Vojáček und seine Familie sind übrigens auf den kleinen Kirchhof begraben. Der ist übrigens recht hübsch und es gibt viele alte Grabmäler sehen. Der Blick über die Mauer offenbart zudem eine herrliche Aussicht auf die Umgebung.
Der Ortskern von Tetín ist in den letzten jahren recht schön aufgemöbelt worden. In der Mitte wird der Dorfplatz nun von einem großen rechteckigen Brunnen geschmückt. An dessen Rückseite brachte man eine große Gedenktafel für einen anderen Großen der Stadt an, nämlich dem berühmten frühneuzeitlichen Historiker Václav Hájek z Libočan, dem Autor einer bedeutenden und sehr anekdotenreichen Böhmischen Chronik von 1541 (eine Episode daraus erwähnten wir bereits hier). Der wirkte nämlich in den Jahren 1533 bis 1539 hier in Tetín als Pfarrer. Die Bronzetafel wurde hier im Jahre 2015 angebracht.
Und auch sonst lohnt sich der besuch des Ortes. Da ist zum Beispiel noch das barocke Schloss, das im 18. Jahrhundert für die oben erwähnte Familie Vojáček erbaut wurde und seither etliche bauliche Veränderungen durchmachte. Es befindet sich in Privatbesitz. Man kann es daher in der Regel nur von außen betrachten. Reingehen kann man allerdings in das interessante Museum und Infozentrum von Tetín, das direkt daneben liegt.
Man sieht: Tetín ist auf jeden Fall einen Ausflug wert. Es ist nicht nur der Mythos der ermordeten Ludmilla, der den Ort zum Anziehungspunkt macht. Selten sieht man auf so kleinem Ort soviel Geschichte, Kultur und malerische Natur konzentriert. Und von Prag ist es wirklich nicht weit! (DD)
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