Zwei Häuser in einem…

Man könnte meinen, man sähe hier eine Märtyrerlegende mit Happy End. Der arme Heilige Laurentius (rechts) soll auf einem Grill verbrannt werden, den er sogar selbst zur Richtstätte tragen muss. Aber schon lauert der Heilige Florian (links) an der Ecke, um mit seinem Wassereimer die Glut zu löschen.

Die Geschichte stimmt natürlich nicht. Schon rein chronologisch wäre das nur mit Mühen möglich gewesen, denn Laurentius wurde im Jahre 258 auf Geheiß Kaiser Valerians zu Tode geröstet. Florian, der zu der Zeit kaum geboren (Geburtsdatum unbekannt) oder sehr, sehr (genauer: viel zu) jung gewesen sein dürfte, wurde im Jahre 304 unter Kaiser Diokletian ertränkt. Aber vielleicht wollte der Bildhauer, der die Statuen der beiden Heiligen hier am Giebel des Hauses in der Spálena 90/19 (Neustadt) aufstellte, nur sein Haus noch einmal doppelt gegen Brandschaden absichern, den beide Heilige dienen als Patrone dem Schutz gegen Feuer – Florian (Bild links) als Patron der Feuerwehr und Beschützer gegen Feuer und Wasser (!), Laurentius gegen Feuersbrünste und Brandwunden. So ergibt die Zusammenstellung der beiden Heiligen auch einen Sinn, ohne dass man Geschichten dazu konstruieren muss..

Zu finden sind die beiden Heiligen an der Dachgaube eines recht asymmetrischen Doppelhauses, von denen die mit den Heiligen versehene Hälfte (Nr. 90/19, im Bild rechts auf der rechten Seite) deutlich kleiner ist als die andere (90/17, links im Bild). Eigentlich sind es eher zwei Häuser, die funktional miteinander verbunden sind. Spätere Umbauten im Haus 90/17 haben den Unterschied noch einmal deutlich vertieft.

Historisch betrachtet ist das größere Gebäude das interessantere von beiden, obwohl es optisch in Sachen Heilige und Fassaden-gestaltung nicht so viel hermacht, wie der andere (kleinere) Teil. Es steht an der Stelle, wo sich zuvor zwei Renaissance-Häuser befanden, von denen für das Jahr 1543 ein gewisser Tobiáš Tatarka als Besitzer überliefert ist. Deshalb wird das Haus – wenngleich eher selten – auch Tatarkovic dům genannt. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ging es in den Besitz des als Kunstmäzen bekannten Karl Gottlieb Freiherr von Bissingen über, weshalb man heute meist vom Bissingen Palast (Bissingenský palác) spricht. Der Freiherr ließ die beiden früheren Häuser in zwei Etappen Ende des 17. Jahrhunderts und noch einmal um 1730 im Barockstil neu gestalten und zusammenlegen.

Sein Sohn Karl Gottfried (inzwischen in den Grafenstand erhoben) ließ das Stadthaus 1806 durch den bekannten Architekten Johann Ignaz Palliardi (wir erwähnten ihn u.a. hierhier und hier) umbauen, damit er mehr dem damaligen klassizistischen Modegeschmack entsprach. Weitere Veränderungen, die den klassizistsichen Charakter des Hauses noch einmal verstärkten, wurden 1821 bis 1823 durch den Architekten Heinrich Hausknecht durchgeführt. 1850 wurde das Haus von der großen böhmischen Adelsfamilie der Fürsten zu Schwarzenberg erworben, deren Wappen (Bild rechts) heute noch über dem Hauptportal hängt. Die Familie nutzte das Gebäude nun als Wohnhaus. Eines der prominenteren Mitglieder der Familie Karl III. Fürst zu Schwarzenberg, der sich als Landtags- und Reichsratsabegordneter stets für mehr Selbstbestimmungsrechte Böhmen im Habsburgerreich eingesetzt hatte, starb hier im Jahre 1904.

1940 erwarb eine Bank das Gebäude und ließ selbiges durch den Architekten František Čermák umbauen und auf die Bedürfnisse eines Finanzinstituts maßschneidern. Man kann darüber streiten, ob die Verkleidung des Erdgeschosses mit Travertin-Platten das Ganze schöner machte, aber es wirkte moderner, worauf man bei der Bank wohl Wert legte. Und ein wenig passende Kunst musste auch sein. Der für seinen realistischen Stil bekannte Bildhauer Jan Adolf Vítek fertigte zwei Reliefs (eines sieht man links), die Szenen des Arbeitsfleißes und der Sparsamkeit darstellten. So etwas machten Banken damals gerne (früheres Beispiel hier). 1948 kamen die Kommunisten und es war aus mit der Bank. Das Gebäude geriet in den Besitz der unter den Kommunisten nunmehr verstaatlichen Maschinenbau-Sektion des Škoda-Konzerns, der es als Verwaltungsgebäude nutzte. Auch das ist vorbei und 1990 wurde das Haus privatisiert. Heute befindet sich drinnen ein Hotel.

Über so viel Geschichte vergisst man leicht das nach meinem Dafürhalten hübschere kleine Haus 90/19 mit den schmucken Heiligen. Es wurde früher Radechov Haus (Radechovský dům) genannt. Da die Fassade der Barockzeit nie grundlegend umgestaltet wurde, vermittelt sie vielleicht ein wenig einen Eindruck davon, wie nebenan Fassade in der barocken Form aussah, die ihr unter dem Freiherrn von Bissingen Ende des 17. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts gegeben wurde. Für eine Druckerei wurde 1921 lediglich der hintere Teil des Gebäudes durch den Architekten Antonín Fric verändert. Die Fassade blieb wie sie war.

Dieses ursprünglich separate Haus wurde 1872 von den nebenan residierenden Schwarzenbergs erworben, die die trennenden Wände zwischen beiden Gebäuden durchbrechen ließen und das Portal verkleinerten. Das große (zweistöckige) Haus 90/17 wurde mit dem kleinen (einstöckigen) Haus 90/19 de facto zu einem Gebäude zusammengelegt. 1914 wurde die Zusammenlegung auch rechtlich formal durch die gemeinsame Hausnummer 90 (die sogenannte Konskriptionsnummer, was wir hier erklären) vollzogen, denn zuvor hatte das separate kleinere Haus die Nummer 91 gehabt. Bleibt noch anzumerken, dass der Heilige Laurentius (Bild links) und der Heilige Florian es im Teamwork tatsächlich geschafft haben, das Haus bisher vor dem Niederbrennen zu schützen. (DD)

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