- Hans Weber
- December 18, 2024
Zwei Urnen in der Sternwarte
Die Erste Tschechoslawische Republik erhob immer den Anspruch ein besonders moderner Staat zu sein, indem Technik und Wissenschaft auf neuestem Stand waren und florierten. Zu den Vorzeigeprojekten gehörte dabei zweifellos Štefánik-Observatorium (Štefánikova hvězdárna) an der Strahovská 205 hoch oben auf dem Petřín-Berg.
Schon in Habsburgerzeiten war Böhmen ein von Astronomie begeistertes Land, wozu man nicht nur an die Blüte unter dem in Prag residieren Kaiser Rudolf II. erinnern muss, der als Hofastronomen Tycho Brahe und Johannes Kepler (wir berichteten hier) beschäftigte, oder an die von den Jesuiten im 18. Jahrhundert errichtete Sternwarte im Klementinum. Etwas modernere Astronomie findet sich im 19. und 20. Jahrhundert, wovon die in den Jahren 1905 bis 1912 etwas außerhalb Prags von dem Industriellen und Hobbyastronomen Josef Jan Frič erbaute Sternwarte Ondřejov (Hvězdárna Ondřejov) Zeugnis ablegt, über die wir bereits hier berichteten. Aber so richtig populär und mit Schwunge versehen wurde die Sache im Jahre 1917, als die Tschechischen astronomischen Gesellschaft (Česká astronomická společnost – ČAS) gegründet wurde, eine Vereinigung von Wissenschaftlichern, Experten und fachkundigen Laien, die sich der Förderung und Popularisierung der Sternenkunde widmeten.
Die Astronomische Gesellschaft fasste schnell den Plan, eine große und allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Sternwarte in Prag zu gründen. Man suchte nach allerlei geeigneten Räumlichkeiten (darunter sogar etwas seltsame wie einen der Türme des Hauptbahnhofs), bis man von der Stadt Prag 1926 schließlich eine passende Parzelle auf dem Petřínberg zur Verfügung gestellt bekam. Da die nicht direkt in der Stadt lag, waren die Beleuchtungsverhältnisse auch wesentlich optimaler als es etwa im Bahnhofsturm gewesen wäre. Auf dem Gelände befand sich direkt an der Befestigungsmauer ein altes Wärterhäuschen, das dann nach den Plänen des Architekten Václav Veselik umgebaut wurde.
Der baute einen Flügel mit Kuppel (Ostflügel) an, in dem ein Teleskop zur Kometenbeobachtung und Arbeitsräume (etwa einer Bibliothek) untergebracht waren, was man 1929 auch einem allgeminerem Publikum zugänglich machte. Bis 1930 wurde das Gebäude fertiggestellt. Ein kleiners Teleskop wurde in der Kuppel im Westflügel und in der Mittelkuppel (Bild rechts) wurde das größe Teleskop, der Zeiss Astrograph (siehe auch großes Bild oben)aufgebaut, ein Doppelrefraktor bestehend aus einem fotografischen Refraktor mit 200 mm Öffnung und einem optischen Refraktor mit einer 180 mm Öffnung. Beide Instrumente haben eine Brennweite von 3400 mm.
Der Zeiss Astrograph war keine „Originalanfertigung“, 1908 hatte ihn der zum Privatastronomen mutierte Großkaufmann Rudolf König für sein Observatorium in Wien anfertigen lassen. Nach seinem Tod 1927 verkaufte die Witwe den Doppelrefraktor an die Prager Štefánik Sternwarte, wo sie fast 100 Jahre ihre Dienste leistete. Für den mühsamen Transport und den Aufbau gab es eine Sammlung, zu der auch Präsident Tomáš Garrigue Masaryk eine größere Summe spendete. Bei soviel patriotischem Einsatz musste auch die Namengebung entsprechend ausfallen. Und den richtigen Namensgeber fand man schnell. Seit seiner Gründung die Sternwarte nach Milan Rastislav Štefánik. Der war eine Art tschechoslowakischer Superheld. Ein Flieger-As und Kommandant der Tschechoslowakische Legionen (frühere Beiträge u.a. hier, hier, hier hier und hier), für die er auf Seiten Frankreichs gegen das Habsburgerreich und für die Unabhängigkeit kämpfte, und erster Verteidigungsminister des Landes. Und er war ein großer Astronom, der zahlreiche Expeditionen in die südliche Hemisphäre zur Erforschung stellarer Phänomene unternahm. Dass der kühne Astronom schon 1919 bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben kam, verlieh dem Ganzen noch eine geradezu mystische Dimension.
Seit dem Jahr 1938 steht auch (in voller Fliegermontur!) Štefániks Statue vor dem Observatorium (wie berichteten hier). Genau genommen ist es eine Kopie, denn die Nazis schmolzen die Statue des überzeugten Republikaners und Freigeists ein, aber nach dem Krieg wurde aus der Gußform ein neues Denkmal gegossen. Auch die Sternwarte selbst nahm durch die Nazis schaden, wurde sie doch vor dem Abzug der Truppen nach einmal beschossen. Der Schaden ließ sich jedoch schnell beheben. Im Gebäude steht übrigens noch ein kleines Modell der Statue (Bild links), wie überhaupt der Erste Raum der permanenten Ausstellung heute vor allem Štefánik gewidmet ist, der ja das Observatorium nie betreten hat, aber trotzdem allgegenwärtig ist.
Die Ausstellung informiert das Publikum über quasi jeden Aspekt von Geschichte des Observatoriums im speziellen und der Astronomie im allgemeinen. Dabei gibt es anschauliche Bild- und Texttafeln (in Tschechisch und Englisch), aber auch reale Ausstellungsobjekte. So sieht man die einzigen Zeugen anderer Himmelskörper auf Erden, nämlich eine große Meteoritensammlung nebst Erläuterungen. Man bekommt die verschiedenen Instrumente und Geräte, die von Astronomen verwendet werden, erklärt. Wozu auf die historischen gehören, die im Zuge der Austellung zu Geschichte der Wissenschaft präsentiert werden (Bild rechts).
Kernstück ist natürlich die Kuppel mit den Zeiss Astrographen. Es stehen immer fachkundige Betreuer bereits, die Zuschauern die Möglichkeit zu geben, zu sehen, wie dort etwa Sonnenflecken und -eruptionen sichtbar gemacht werden, die man sonst mit dem Auge besser nicht zu erspähen versucht. Im Kern war das Astrograph von 1908 noch bis vor kurzem wissenschaftlich State-of-the-Art. Erst 2022 musste der Zeiss Astrograph nach 100 Jahren abgebaut und zu einer Modernisierung und Generalüberholung nach Jena zu den Zeiss-Werken, Aber nach der Reparatur (nicht Ersetzung durch ein neues!) funktioniert er wie neu. Am 4. Mai 205 – dem 95 Jahrestag der Eröffnung der Sternwarte und dem 105 Jahrestag von Štefániks Tod – wurde der Astrograph wieder der Wissenschaft und dem Publikum zugänglich gemacht.
Neben der wissenschaftlichen Forschung ist die Sternwarte vor allen, wie oben gezeigt, mit der Aufgabe betreut, die Astronomie durch geeignete Maßnahmen zu popularisieren. Dazu gehört nicht nur die interessante Aufmachung der Ausstellung, sondern auch ein reichhaltiges Programm von Veranstaltungen und Kurse – nicht nur für Kinder, die mit allerlei spielerischen Experimenten für die Astronomie gewonnen werden. Wer von dieser Informationsflut überwältigt nach Stärkung für Leib und Seele verlangt, für den gibt es im Astrobistro kleine Snacks und Getränke. Innen hat es ein Star Trek-mäßiges Design, dass extrem passend ist (Bild rechts) und im Sommer gibt es draußen einen zünftigen kleinen Biergarten (der auch Nicht-Besuchern offen steht).
Seit 1979 betreut die Organisation der Prager Sternwarte und des Planetariums (organizace Hvězdárna a planetárium hlavního města Prahy) nicht nur die Sternwarte am Petřínberg, sondern auch die in den 1950er Jahren gegründete Sternwarte Ďáblice (Ďáblice hvězdárna) in Ďáblice (Prag 8) und das Planetarium Prag (Planetárium Praha) am Rande des großen Stromovka-Parks. Seit 2022 hat sich die Organisation den werbewirksamen Beinamen Planetum gegeben, zu Ehren des Starts des Kleinsatelliten Planetum-1 am 22. Mai 2022, der von der Organisation finanziert und entwickelt als tschechischer Satellit von einer amerikanisches Rakete von Cape Canaveral in den Weltraum geschickt wurde.
Und dann ist da noch ein etwas makabres Detail, möglicherweise Ausdruck des tschechischen schwarzen Humors. Im Pfeiler unterhalb des Zeiss Astrograph befinden sich eingemauert die Urnen zweier Gründungsmitglieder der Tschechischen Astronomischen Gesellschaft. Jaroslav Štych war Astronom und Förderer von sozialdemokratischer Volksbildung in Sachen Wissenschaft im allegemeinen und vor allem Sternenkunde im speziellen. Und Karel Anděl hatte sich um die Kartographierung des Mondes so verdient gemacht, dass man dort sogar einen größeren Krater nach im benannte. Zwei Bronzeplaketten erinnern noch heute an sie und den Platz, wo ihre Urnen begraben sind. (DD)
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